Frauen der Bohème
München 1890-1920
Unter Bohème versteht man eine künstlerische und literarische Subkultur. Im Rahmen der Münchner Bohème bedeutete dies eine Auflehnung gegen die Normen und Moralvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts und gleichzeitig die Umsetzung neuer Formen des Zusammenlebens, die zur Schaffung einer Einheit von Kunst und Leben führen sollten. Obwohl Frauen innerhalb der Bohème oft gleichberechtigte AkteurInnen waren, war sie in der Gesellschaft durch Vorurteile und Rechtlosigkeit mit besonderen Herausforderungen konfrontiert.
In der Ausstellung “Frei leben! Frauen der Bohème 1890-1920”, die in der Monacensia 2022/2023 gezeigte wurde, haben die Kuratorinnen Anke Buettner, Laura Mokrohs und Sylvia Schütz anhand der drei Schriftstellerinnen Franziska zu Reventlow, Margarte Beutler und Emmy Hennings sowie in einem von ihnen herausgegebenen Sammelband mit Autorinnen aus der Zeit der Jahrhundertwende die Rolle der Frauen in der Bohème, ihre Lebensumstände, Arbeitsbedingungen, Ideen und ihr Werk hervorragend sichtbar gemacht.
Dabei wurden gezielt drei Frauen ausgewählt, die versucht haben, sich als Schriftstellerinnen ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

(1885-1948)
Ausstellung “Frei leben!” Monacensia

(1879-1918)
Ausstellung “Frei leben!” Monacensia

(1876-1949)
Ausstellung “Frei leben!” Monacensia
Der Wunsch nach einem freien und selbstbestimmten Leben unabhängig von dem zu dieser Zeit gängigen bürgerlichen Rollenbild ist nach Laura Mokrohs und Sylvia Schütz für die Frauen der Bohème zentral. Die Verwirklichung diese Wunsches bedeutete für die Frauen oft einen radikalen Bruch mit ihrer Familie und immer wieder große Existenzsorgen.

Vor allem aber zeigen sie eines: welch großes Risiko die Frauen der künstlerischen Avantgarde auf sich nahmen, um entgegen dem für Frauen damals vorgezeichneten Weg der Ehe und Mutterschaft andere, freiere Formen von Beziehungen, ein selbstbestimmtes Leben, einschließlich Selbstbestimmung über den eigenen Körper und ihre Sexualität, zu leben und mit ihrer Arbeit als Literatinnen zu verbinden.
Ihre Ideen, die sie in ihren literarischen Werken, Briefen und Tagebüchern darlegten, befassten sich mit Fragen der Unabhängigkeit, der Ehe, der freien Mutterschaft, d.h. Mutterschaft und Erziehung der Kinder außerhalb von Ehe oder Partnerschaft, aber auch mit Frauengesundheit in so unterschiedlichen Aspekten wie Leistbarkeit von Krankenhausaufenthalten, Geburtshilfe, dem Mangel an medizinischer Aufklärung, Empfängnisverhütung und Schwangerschaftsabbruch und den sozialen Bedingungen lediger Mütter. Ebenfalls Thema war die Frage der Prostitution, da diese oftmals für Frauen in finanzieller Not – auch für Frauen der Bohème – ein letzter Ausweg zur Sicherung ihrer Existenz war.
Die Frauen der Bohème waren zwar vernetzt, oft auch über München hinaus in andere Orte, dennoch waren sie Einzelkämpferinnen, nicht organisiert wie die bürgerliche und proletarische Frauenbewegung. Emmy Hennings, Franziska zu Reventlow und Margarete Beutler waren anerkannte Schriftstellerinnen, die im Literaturbetrieb sehr gut vernetzt und in den Kreisen der Bohème verankert waren. Zu ihren Lebzeiten haben sie durch ihre Veröffentlichungen Anerkennung erfahren, heute “kommen sie in den gängigen Literaturgeschichten oder im Schulunterricht kaum vor” (Anke Buettner).
Umso bedeutender war es, dass die Monacensia unter der Leitung von Anke Buettner und mit großer Fachkenntnis und besonderem Engagement der Kuratorinnen Laura Mokrohs und Sylvia Schütz diese Schriftstellerinnen und ihre Werke wieder einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt hat, insbesondere auch die Bedeutung ihrer Ideen in Zusammenhang mit den Forderungen der Frauenbewegungen bis heute.
Wer sich mit Leben und Werk dieser Schriftstellerinnen näher beschäftigen will, hat auch nach Beendigung der Ausstellung durch das anlässlich der Ausstellung erschienene Buch und die Gestaltung von Kurzfilmen Gelegenheit dazu.
Buch: Anke Buettner, Laura Mokrohs, Syvia Schütz (Hg.), Frei leben! Frauen der Bohème 1890-1920. Verbrecher Verlag, Berlin 2022
Links:
Trailer zur Ausstellung: Frei leben! Die Frauen der Boheme 1890–1920 – Monacensia (45 sec) https://www.youtube.com/watch?v=kK1vNWb1Of8
Franziska zu Reventlow – Frei. Ganz frei – Monacensia (8:03min) https://www.youtube.com/watch?v=xRTGpHugNf8&list=TLPQMTgwNzIwMjTpm5Jnxg1l-w&index=3
Emmy Hennings – Die Liebe anders organisieren – Monacensia (8:31 min) https://www.youtube.com/watch?v=QROy-3o8tzA&list=TLPQMTgwNzIwMjTpm5Jnxg1l-w&index=2
Margarete Beutler – Sammlerin von Schicksalen – Monacensia (9:31 min) https://www.youtube.com/watch?v=NRbGuYgafsQ
