Lisette Model

Lisette Model

Fotografie als Wahrnehmung der Welt und Kunstform

Lisette Model (1901-1983), einer der international einflussreichsten FotografInnen des 20. Jahrhunderts, ist in der Albertina eine Retrospektive gewidmet, in der Fotos ihrer wichtigsten Werkgruppen, die zwischen1933 und 1959 entstanden sind, darunter auch noch nie ausgestellte Arbeiten, gezeigt werden.

Sie war eine innovative Fotografin, die durch ihre ausgeprägte visuelle Wahrnehmung und ihrem Interesse daran, die Realität unverfälscht einzufangen, mit ihren Fotografien die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, wesentlich beeinflusst hat.

In der Fotografie sah sie nicht nur eine Technik, sondern verstand sie als eine Art, die Welt zu betrachten, ihre Mitmenschen aufmerksam zu beobachten und hinter die Fassaden zu blicken. Sie tat dies mit einem offenen, unvoreingenommenen und vor allem vorurteilsfreien Blick auf die Menschen, die sie in ihrer jeweiligen Lebensumwelt fotografierte.

„Fotografie ist eine Kunstform, mit der Menschen ihr Verständnis und ihre Verbindung zum Leben, zu sich selbst und zu anderen Menschen zum Ausdruck bringen“ (Lisette Model)

Lisette Model wird 1901 als Elise Amelie Felicie Stern in Wien geboren. Ihre großbürgerliche jüdische Wiener Familie, die ihren Namen 1903 auf Seybert änderte, ermöglichte ihr eine gute Ausbildung, in ihrer Jugend lernte sie bereits als Fremdsprachen Französisch und Italienisch. Zunächst verfolgte sie eine musikalische Ausbildung. Von 1919 bis 1921 besucht sie an der von Eugenie Schwarzwald gegründeten progressiven Schwarzwaldschule die Kurse des Komponisten Arnold Schönberg, bei dem sie Harmonielehre und Kontrapunkt studierte. Dieser Kontakt war für sie insofern bedeutend, da sie über ihn mit expressionistischen Künstlern in Kontakt kam.

Nach dem Tod ihres Vaters 1924 übersiedelte Lisette Model 1926 nach Paris, ihre Mutter und Schwester lebten damals in Nizza, wo sie oftmals zu Besuch war. In Frankreich hat sie ihre Gesangsausbildung und sich auch mit der Psychoanalyse befasst.

Als sie aufgrund von Stimmproblemen ihre Gesangsausbildung 1933 abbrechen musste, beschloss sie, Fotojournalistin zu werden. In diesem damals relativ neuen Feld hatten damals auch Frauen die Möglichkeit, sich zu etablieren und ein finanzielles Auskommen zu finden. Dies war vor allem im Hinblick auf die sich zusehends verschlechternde politische Situation und die wachsende Bedrohung durch den Nationalsozialismus und Faschismus in Europa notwendig.

Sie absolvierte für ihren neuen Beruf keine klassische Lehre, sondern lernte bei ihrer Schwester Olga, einer professionellen Fotografin. Von der Künstlerin Rogi André lernte sie den Umgang mit Mittelformat-Spiegelreflexkameras, weitere Kenntnisse erwarb sie bei der surrealistischen Fotografin Florence Henri. Von Beginn an legte sie bei ihrer Tätigkeit immer wesentlichen Wert auf die Bildbearbeitung, die Auswahl der Bildausschnitte, die Belichtung bei der Ausarbeitung und ie Auswahl der Abzüge, die von zur Veröffentlichung bestimmt wurden.

Bereits in Nizza entstand 1934 ihre erste bedeutende Fotoserie von Menschen auf der Promenade des Anglais, die 1935 vom angesehenen kommunistischen Magazin Regards veröffentlicht wurde.

In Nizza lernte sie auch ihren Mann, den russisch-jüdischen Maler Evsa Model (1899-1976) kennen, den sie 1937 in Paris heiratete. Gemeinsam mussten sie 1938 in die USA emigrieren, wo sie sich in New York niederließen. Das einschneidende Erlebnis der Emigration und ihre neue Umgebung zeigen sich auch in den in dieser Zeit von ihr gemachten Fotos. Ihre Arbeiten zur Serie Reflections zeigen Spiegelungen in Schaufenstern, in der Serie Running Legs richtete sie ihre Kamera nicht auf die Wolkenkratzer, sondern auf die Beine der Passanten.

Lisette Model, Spiegelung, 1939-1945
ALBERTINA, Wien © Estate of Lisette Model, courtesy baudoin lebon and Avi Keitelman

Ihre humanistische Sichtweise ist auch in New York die Grundlage für die Darstellung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. In einer ihrer größten Werkgruppen widmet sich Lisette Model den BewohnerInnen der Lower East Side. Auf der anderen Seite stehen Fotografien von Menschen bei Freizeitvergnügungen.

Lisette Model war nicht nur eine hervorragende Fotografin, sondern auch eine hervorragende Netzwerkerin. Dadurch erhielt sie Aufträge von angesehenen Zeitschriften wie Harpers Bazaar, Look und Ladies Home Journal.

Schon im Jahr 1940 erwarb das Museum of Modern Art in New York Fotografien von ihr und zeigte ihre Werke in einer Gruppenausstellung. Sie war Mitglied der New Yorker Photo League, einer einflussreichen linkspolitischen Vereinigung, die für eine sozial engagierte Fotografie stand, nahm an deren Veranstaltungen teil und hatte dort 1941 ihre erste Einzelausstellung.

Im Jahr 1946 begleitet Lisette Model ihren Ehemann Evsa anlässlich einer Einladung der California School of Fine Arts (CSFA) nach San Francisco, wo erstmals größere Werkgruppen von ihr außerhalb New Yorks entstehen. Dort begann im Fotodepartment der CSFA, wo sie einen Kurs für Dokumentarfotografie hielt, auch ihre Tätigkeit als Lehrende, die sie ab 1951 bis kurz vor ihrem Tod 1983 in New York in der New School for Social Research fortsetzte. Sie war eine Lehrende, die über 30 Jahre eine ganze Generation von FotografInnen beeinflusst hat.

Einen wesentlichen Einschnitt für ihre Karriere brachte in den 1950er Jahren die McCarthy Ära. Obwohl ihr keine kommunistischen Aktivitäten nachgewiesen werden konnten, wurde sie als nicht kooperationsbereit eingestuft und auf die Security Watchlist gesetzt, wodurch sie als Fotojournalistin einige ihrer wichtigsten Auftraggeber verlor.

Die Benachteiligungen während der McCarthy Ära hatten Einfluss auf ihr Leben und Werk. Sie fotografierte weniger, auch mangels Aufträgen, sodass ihre Lehrtätigkeit ihre finanzielle Grundlage wurde.

Angenommen hat sie in dieser Zeit einen Auftrag der Regierung von Venezuela, die damals im Zuge der Modernisierung des Landes mit der Ausbeutung der Ölvorkommen begann. Ihre Fotografien (von denen drei in der Ausstellung in der Albertina zu sehen sind) verweisen auf ihren ungewöhnlichen Blick, in der sie die Eingriffe in und die beginnende Zerstörung der Natur erfasst hat.

Eine weitere Fotoserie zeigt Aufnahmen eines Pferderennens in New York im Jahr 1956, wobei sie ihren Blick auf die ZuschauerInnen und nicht auf das Pferderennen gerichtet hat. Ihre größte Werkgruppe ist dem Thema Jazz gewidmet, in der sie Musiker auf Jazzveranstaltungen, Festivals oder bei Konzerten fotografierte. Dabei kommt zum Ausdruck, wie sehr es der selbst hochmusikalischen Fotografin gelang, die Hingabe, Präsenz und Energie der MusikerInnen in ihren Bildern einzufangen.

Lisette Model, Ollie McLaughlin, Hotel Viking, Newport Jazz Festival, Rhode Island, 1956. Estate of Lisette Model, courtesy of baudoin lebon and Avi Keitelman

Lisette Model ist 1983 in New York gestorben. Ihr künstlerischer und schriftlicher Nachlass befindet sich in der National Gallery of Canada, Ottawa.

Im Jahr 2016 wurde im 8. Wiener Gemeindebezirk Josefstadt der Lisette-Model-Platz nach ihr benannt.

Die Ausstellung ist bis 22. Februar 2026 in der Albertina Wien zu sehen.

Adresse: Albertina Wien, Albertinaplatz 1,1010 Wien https://www.albertina.at/

Öffnungszeiten: täglich 10:00-18:00 Ihr, Mittwoch und Freitag 10:00-21:00 Uhr

(Ausnahmen: 24. Dezember:10.00 bis 14:00 Uhr, 31. Dezember:10:00 bis 18:00 Uhr)

Katalog: Lisette Model. Retrospektive. Hg. Walter Moser. Albertina Wien 2025

Link: International Center of Photographie – Fotos von Lisette Model: https://www.icp.org/browse/archive/constituents/lisette-model

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