Radikal!

Radikal!

Künstlerinnen und Moderne

Mit der Ausstellung “Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910-1950” im Unteren Belvedere ist es den Kuratorinnen gelungen, den von ihnen im Sinne der feministischen Kunstgeschichtsschreibung vorgenommen Perspektivenwechsel und seine Bedeutung für die Wahrnehmung von Künstlerinnen einem breiten Publikum zu vermitteln.

Die Werke werden in ihrem historischen Zusammenhang und in Verbindung mit der Geschichte des Kampfes um die Frauenrechte und nicht wie bisher im kunsthistorischen Kontext üblich, durch eine zeitliche Gliederung in verschiedene Kunststile, präsentiert. Diese Vorgangsweise ermöglicht einen neuen, anderen Zugang zu den Werken der Künstlerinnen*. (Anm. mit der Schreibweise Künstlerinnen* wird seitens der Kuratorinnen die Vielfalt der in der Ausstellung vertretenen Identitäten betont)

Der Zeitraum, den diese Ausstellung abdeckt, ist die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts – eine Zeit, die geprägt war durch zwei Weltkriege, große politische Veränderungen, rasante Entwicklungen im Bereich der Technik, Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Lebenssituation der Frauen.

Die Ausstellung in Kooperation mit dem Museum in Arnhem und dem Saarlandmuseum-Moderne Galerie, Saarbrücken gestaltete Ausstellung zeigt Bilder, Druckgrafiken, Zeichnungen, Skulpturen, Textildesign, einen Film und Fotografien von mehr als 60 Künstlerinnen* aus über 20 Ländern, die in dieser Zeit ihre Werke geschaffen und für die Darstellung der veränderten gesellschaftlichen Realitäten nach neuen Ausdrucksformen gesucht haben.

Lavinia Schulz, Walter Holdt, Maskenfigur Toboggan Frau, um 1921. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Foto: Maria Thrun

In dem sie bei der Gestaltung inhaltlichen Schwerpunkte setzen, haben sich die Kuratorinnen von der üblichen kunsthistorischen Gliederung der Moderne von nacheinander aufeinanderfolgenden Kunstrichtungen gelöst, indem sie die Vielfalt und Gleichzeitigkeit der Stilrichtungen (wie z.B. Kubismus, Konstruktivismus, Surrealismus, Abstraktion) anhand von verschiedenen Themen zeigen.

Die Inhalte, mit denen sich die Künstlerinnen* auseinandersetzten, reichen von Fragen nach den Geschlechterbildern, dem weiblichen Körperbild und dem Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, dem Aufzeigen sozialer Missstände, über die Auseinandersetzung mit Krieg und Verfolgung bis hin zu Kolonialismus und Rassismus.

Ein besonderes Verdienst der Ausstellung ist, den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung, Wahlrecht und Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper historisch und anhand des Lebens und von Werken von Kunstschaffenden darzustellen, weil damit ihre Sicht auf die Welt unmittelbar zum Ausdruck kommt.

“Es sind Bild gewordene Akte der Emanzipation, die diese Ausstellung vereint…Ihre Schöpferinnen standen für selbstbestimmte Lebensentwürfe, hinterfragten die Machtverhältnisse einer patriarchalen Gesellschaftsordnung und betrachteten feministischen Aktivismus als wesentliches Instrument politischer Teilhabe.” (Kuratorin Stephanie Auer, Katalog, S. 179)

Alice Lex-Nerlinger, Paragraf 218, 1931. Stadtmuseum Berlin, Foto: Michael Setzpfand © S. Nerlinger

Ein Aspekt, dem in der Ausstellung in einem eigenen Abschnitt besonderes Augenmerk geschenkt wird, ist der Umstand, dass es Frauen waren, die durch ihre Arbeit im Bereich der angewandten Kunst durch ihre Entwürfe für Stoffe, Kleidung, Teppiche und Gebrauchsgegenstände moderne Kunst in den Alltag der Menschen brachten. Auch wenn ihre Arbeiten oftmals als Kunsthandwerk abgetan wurde, trugen sie wesentlich zur Hebung des Stellenwertes der angewandten Kunst als gleichberechtigter Kunstform zu Malerei, Zeichnung und Skulptur bei.

Fahrelnissa Zeid, Ohne Titel (Komposition), um 1949. Taimur Hassan Collection, Foto: Justin Piperger © Raad Zeid Al-Hussein

Als die amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin (1931-2017) mit ihrem Essay ” Why have there been no great women artists?” (Warum gab es keine großen Künstlerinnen?) im Jahr 1971 einen Grundstein für eine feministische Kunstgeschichtsschreibung gelegt hat, war das der Beginn einer umfassenden Veränderung des Blicks auf das Kunstschaffen von Frauen.

Mit der Ausstellung “Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910-1950” wurde ein weiterer wichtiger Meilenstein gesetzt, da, wie die Generaldirektorin des Belvedere, Stella Rollig, betont, Künstlerinnen und geschlechterdiverse Personen im Kanon der Moderne sichtbar gemacht werden, ihre systematische Marginalisierung reflektiert wird und kunsthistorische Narrative neu bewertet werden.

Die Ausstellung ist noch bis 12. Oktober 2025 zu sehen!

Adresse: Unteres Belvedere, Rennweg 6, 1030 Wien https://www.belvedere.at/

Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag 10:00-18:00 Uhr

Kurzfilme/Einführung: Besonders hinweisen möchte ich auf zwei sehr informative Kurzfilme zu dieser Ausstellung zu den Themen Perspektivenwechsel (2:42 min): https://www.youtube.com/watch?v=MiY57fKBHAA und Emanzipation (2:54 min): https://www.youtube.com/watch?v=IeJzGnKjlzM

Katalog: Radikal! Künstlerinnen* der Moderne 1910-1950. Hg. Stella Rollig, Stephanie Auer, Andrea Jahn, Kathrin Elvers-Švamberk. Verlag der Buchhandlung Franz und Walther König, Köln 2024.

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