Stadt und Land

Stadt und Land

Traum und Wirklichkeit

In der Albertina in Wien ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die einen tiefen Einblick in die Entwicklung der Landschafts- und Stadtdarstellungen in den letzten fünf Jahrhunderten erlaubt. Mehr als 150 Meisterwerke aus den Sammlungen der Albertina lassen uns nachvollziehen, wie Landschaftsmalerei und Stadtansichten entstanden sind, sich über die Jahrhunderte gewandelt haben und bis heute die Wahrnehmung unserer Lebenswelt prägen.

Die Ausstellung verdeutlicht, wie grundlegend unsere Vorstellungen von Natur und Stadt von den Bildern, wie sie uns Maler über die Jahrhunderte von Landschaften und Städten vermittelt haben, beeinflusst wurden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch die Maler von den Vorstellungen der Zeit, in der sie lebten und wirkten, beeinflusst waren. Mit ihrem individuellen Blick auf die Landschaft, der Auswahl der Inhalte und Bildausschnitte und der Art und Weise, wie sie das Bild komponierten, haben sie uns immer eine Idee von Landschaft vermittelt. Tatsächlich manchmal an verschiedenen Orten Gesehenes, Vorstellungen und Fantasien wurden in den Bildkompositionen entsprechend dem jeweiligen Stil miteinander verbunden.

Erste Landschaftsbilder der westlichen Welt entstanden bereits in der Antike. Danach spielten sie als eigenständiges Thema in der Malerei bis Ende des 15. Jahrhunderts keine Rolle. Landschaften waren bis dahin auf die Bedeutung einer Kulisse reduziert, wie beispielsweise als malerischer Hintergrund bei der Darstellung von Heiligenfiguren.

Die Ausstellung gibt einen guten Überblick über die Anfänge des Landschaftsbildes, beginnend mit Werken Albrecht Dürers Ende des 15. Jahrhunderts und Albrecht Altdorfers zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Bei den Werken Dürers wird deutlich, wie er Zeichnungen als Vorlagen für Hintergrundlandschaft anfertigte oder wie er eine Stadtansicht von Innsbruck durch die Erweiterung einer Wasserfläche und das Zusammenrücken der Bauten ins Bild setzte. Am Beispiel des bekannten Bildes “Rasenstück”, wird beispielhaft gezeigt, er dieses vollendete Stück Rasen “komponierte”: indem er ein Rasenstück ausgrub, die Gräser und Pflanzen im Atelier einzeln minutiös studierte und dann in einer vollendeten Form in seinem Bild malerisch angeordnet, mit Hell- und Dunkeleffekten, als eigene Erzählung zusammensetzte.

Zum Hauptinhalt eines Bildes wurde Landschaft erstmals durch Albrecht Altdorfer erhoben, wobei er keine tatsächlich existierenden Orte zum Thema machte, sondern als Künstler Orte aus Erinnerungen und seiner Fantasie geschaffen hat.

Albrecht Altdorfer, Die Große Fichte, um 1517.20, Radierung aquarelliert. Albertina Wien

Eine Hochblüte erlebte die Landschaftsdarstellung im 17. Jahrhundert in den Niederlanden. Die Niederlande erlebten im 17. Jahrhundert einen enormen Aufschwung des Handels, der zu einem zunehmenden Wohlstand des Bürgertums führte. Vor dem Hintergrund, dass sich 1648 die nördlichen Provinzen der Niederlande zu einem unabhängigen Staat zusammengeschlossen hatten, verstärkte sich die Nachfrage nach Darstellungen der Landschaften dieses neuen Staates, was zu einem enormen Aufschwung der Landschaftsmalerei führte. Ein Beispiel dafür sind jene Bilder Rembrandts, in denen er Landschaft mit einfachen Pinselstrichen festhielt, oft aber durch die Aufnahme von Wetterphänomen, wie beispielsweise ein aufziehendes Gewitter, gleichzeitig die Atmosphäre wiedergab. Auch in seinen Werken finden sich frei gestaltete Ansichten mit stimmungsvolle Arrangements unterschiedlicher Landschaften und Bauernhäuser.

Rembrandt Harmensz van Rijn, Die ehemalige Kupfermühle auf der Weesperzijde, späte 1640er Jahre. Feder und Pinsel in Braun. Albertina Wien

Eine der Auffassung von Landschaftsdarstellungen in den Niederlanden entgegengesetzte Entwicklung entwickelte sich in Frankreich und Italien. Dort fanden entsprechend dem Ausspruch von Jean Jaques Rousseau “Zurück zur Natur” Wunschbilder des Landlebens auch in die künstlerischen Darstellung Eingang. Kunst wurde als Mittel dafür angesehen, die Entfremdung des Menschen von der Natur zu überwinden. Gleichzeitig kam es vor allem in der Zeit des Rokoko im 17. Jahrhundert zu einer Idealisierung der Natur, die mit idyllischen Vorstellungen vom Landleben einherging. Romantische Fels- und Flusslandschaften, Wolkenstimmungen und das Licht spielen einen wichtige Rolle bei der Darstellung der Harmonie des Menschen mit der Natur. Zur gleichen Zeit fand in Italien durch eine Verklärung der Antike die Einbettung von Alltagsszenen in Landschaften mit märchenhaften antiken Ruinen ihren Ausdruck in der Malerei.

Claude Lorrain, Baumgruppe mit ruhendem Hirten, späte 1630er Jahre. Feder, Pinsel, schwarz und braun laviert. Albertina Wien

Die Vorstellungen von Städten wurden von der Kartographie, deren Weiterentwicklung seit dem 15. Jahrhundert vor allem von Seefahrt vorangetrieben wurde, geprägt. Ab dem Ende des 15. Jahrhundert entstanden erste detaillierte Karten von Städten. Eine Blütezeit erlebte die Darstellung von Stadtansichten im 18. Jahrhundert. Neben der Darstellung von realen Gebäuden nimmt die künstlerische Gestaltung, wie das Zusammenfügen von an verschiedenen Orten stehenden Gebäuden, die Aufnahme von Vegetation und Menschen als “Staffagefiguren” eine zentrale Bedeutung ein. In der Ausstellung gibt es dafür einige Beispiele aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu sehen, wie ein Bild von Canaletto, in dem er die Ansichten einen Römischen Triumphbogens und einer gotischen Kirche verbindet. Ein weiteres verblüffendes Beispiel ist das Bild von französischen Malers Jean-Francois Colson von Notre Dame in Paris, in dem er für die Darstellung der die Kirche umgebenden Gebäude einen nie verwirklichten Entwurf eines Gebäudeensembles verwendete.

Canaletto, Die PortaProtello mit dem Brentakanal in Padua, 1740-143. Federzeichnung. Albertina Wien

Ende des 18. Jahrhunderts sind – auch als Reaktion auf das verspielte Rokoko – klassizistische Darstellungen mit klareren Linien und strukturierterem Aufbau von antiken Ideallandschaften vorherrschend. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts änderte sich die Darstellung der Natur neuerlich. In der Romantik wurde nunmehr nicht mehr nur die Wiedergabe ihrer Schönheit, sondern auch ihrer Größe und Erhabenheit und ihre Gefährlichkeit Thema. Zugleich wird die Natur auch zum Sinnbild für das menschliche Leben, zum “Symbolträger” für die Psyche des Menschen.

Der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehende Realismus sah es als Aufgabe der Kunst, die Realität fast fotografisch abzubilden. Dennoch handelt es sich auch dabei nicht um realistische Abbildungen von Stadt- und Landschaftsansichten, da diese auf bestimmte Realitäten beschränkt blieb, wie auf die Darstellung schöner Plätze und Straßen von Städten, Landschaften bei Sonnenschein, das bürgerliche Leben.

Mehrere Entwicklungen im 19. Jahrhundert, wie die Erfindung der Eisenbahn, deren Geschwindigkeit auch die Wahrnehmung der Natur veränderte, die Erfindung der Fotografie, die die Realität präzise abbilden konnte, und neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die den Unterschied zwischen Naturgesetzen und der Anschauung von Natur bewusst machten, führten zu einer völlig anderen Darstellung der Natur im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.

Mit der Entstehung des Impressionismus um 1870 in Frankreich, gekennzeichnet von der Ablehnung der bisherigen traditionelle Malweise und dem Bestreben, nur den subjektiven Eindruck des Gesehenen wiederzugeben, fand die Gestaltung von Landschaften aus Licht und Farbe Einzug in die Malerei.

Im frühen 20. Jahrhundert löst sich die Malerei vom Prinzip der Naturnachahmung und gibt sie – wie im Expressionismus – in Form von Kompositionen aus Farbe und Formen wieder; ein weiterer Schritt führt dann zur Abstraktion. Gleichzeitig entstehen vom Kubismus beeinflusste Stadtansichten und Werke wie jene von Alfred Kubin, der in seinen Bildern die Schrecken der Zeit zeigt.

August Macke, Frau mit Krug unter Bäumen, 1912. Aquarell. Albertina Wien, Sammlung Forberg

Diese Überblicksausstellung über die Geschichte der Landschaftsdarstellung und die Beschäftigung mit den Werken von Künstlern sollte uns zur Beschäftigung mit der Frage anregen, wie wir heute unsere Umwelt wahrnehmen, wie wir Stadt, Natur und Landschaft sehen – als Lebensraum, Nutzlandschaft, Erholungsort? Als Reiseziel oder durch Umweltverschmutzung und den Klimawandel bedroht? Gleichzeitig sind wir gefordert, uns mit jenen Bildern, die uns durch das Fernsehen, Internet und verschiedene Printmedien vermittelt werden, bewusster auseinanderzusetzen – aus welchem Blickwinkel wird berichtet? Was wird gezeigt, was ausgespart? Wie werden die Eingriffe des Menschen und deren positive und negative Auswirkungen dargestellt? Damit weist diese Ausstellung direkt in unsere Gegenwart und fordert von uns auch eine aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Wahrnehmung und Weltsicht.

Paul Klee, Landgut bei Fryburg, 1915. Aquarell und Goldfarbe auf Papier und Karton. Albertina Wien. Sammlung Forberg

Die Ausstellung ist bis 22. August 2021 in der Albertina in Wien zu sehen!

Adresse: Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien http://www.albertina.at

Öffnungszeiten: täglich 10.00-18:00 Uhr

Katalog: Stadt und Land. Zwischen Traum und Wirklichkeit. Hg. Eva Michel. Albertina 2021

Link: In einer Online-Bildergalerie werden 13 in der Ausstellung zu sehende Bilder gezeigt. Dies bietet den Vorteil, die Bilder auch stark vergrößert betrachten zu können: https://www.albertina.at/ausstellungen/stadt-und-land/

Online-Führungen: Derzeit werden auch Online-Führungen zum Preis von € 5,- angeboten: https://shop.albertina.at/de/online-programme/oeffentlichefuehrung/

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