Treffpunkte der Avantgarde

Treffpunkte der Avantgarde

Cafés, Clubs und Kabaretts als künstlerische Freiräume

Die Ausstellung “Into the Night – Die Avantgarde im Nachtcafé” beschäftigt sich mit dem kunsthistorisch interessanten Thema , wie Cafés, Clubs und Kabaretts im Zeitraum von 1880 bis in die 1960er Jahre zur Entwicklung künstlerischer Avantgarde beigetragen haben.

Aus dieser Perspektive wird anhand von ausgewählten Beispielen aus Europa und New York, Mexiko, dem Iran und Nigeria gezeigt, wie solche Treffpunkte zum Nährboden für die Weiterentwicklung in den verschiedensten Bereichen der Kunst geworden sind.

Schlichter, Rudolf 1890–1955. “Damenkneipe” (Women’s Pub) c. 1925 Watercolour over ink on paper, 60 × 50.9cm. Private collection.

Gezeigt werden Orte, die als kreative Freiräume abseits von gesellschaftlichen Zwängen und politischer Unterdrückung den Ideenaustausch KünstlerInnen aus verschiedensten Kunstrichtungen – aus bildender Kunst, Architektur, Design, Literatur, Tanz und Musik – ermöglichten, anregten und förderten.

Einige dieser Orte waren als Gesamtkunstwerke konzipiert, wie beispielsweise das von der Wiener Werkstätte verwirklichte Kabarett Fledermaus, das von Giacomo Balla gestaltetet Bal Tik Tak und Fotunato Depero`s Cabaret del Diavolo in Rom. Alle aber boten ein künstlerisch anregend gestaltetes Interieur und Auftrittsmöglichkeiten für KünstlerInnen der Avantgarde.

Beispielsweise hat das Schattentheater im Chat Noir in den 1880er Jahren die Kinokultur vorweggenommen. Im Folies Bergère konnte die Tänzerin Loie Fuller in den 1890er Jahren ihre radikalen Tanzexperimente mit spektakulären Lichteffekten, Bühnenbildern und extravaganten Kostümen zeigen und hat damit Maler wie Henri Toulouse-Lautrec, Tänzerinnen und Filmemacher inspiriert.

Das Züricher Café Voltaire ging als Geburtsstätte der künstlerischen und literarischen Dada-Bewegung in die Geschichte ein. In London eröffnete der Cabaret Theatre Club 1912 mit dem “Cave of the golden Calf” ein künstlerisches Kabarett, in dem Schattentheater, Tänze verschiedenster Art, und Varietéprogramme geboten wurden. Das im Jahr 1921 eröffnete Bal Tik Tak in Rom war von großer Bedeutung für die Entwicklung Kunstrichtung des Futurismus und einer der ersten Clubs, in dem Jazzmusik aus Amerika gespielt wurde. In Straßburg wurden in dem von Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp und Theo van Doesburg in abstraktem Design gestalteten Kultur- und Vergnügungszentrum L´Aubette ab 1928 bereits frühe abstrakte Filmarbeiten gezeigt.

In Berlin, als kosmopolitischem Zentrum der Republik, gab es zahlreiche Nachtklubs und Varietés, in denen KünstlerInnen der des Expressionismus und der neuen Sachlichkeit Anregungen für ihre Malerei erhielten, wie Max Beckmann, George Grosz, Otto Dix, Jeanne Mammen und Elfriede Lohse-Wächter, und die Tänzerin Valeska Gert mit ihrer Darstellung von ausgegrenzten Gruppen richtungsweisend für die Weiterentwicklung des Ausdruckstanzes war.

Die Ausstellung legt ihren Fokus aber nicht nur auf Europa, sondern zeigt anhand von Beispielen auch Treffpunkte der Avantgarde in Mexiko, wo sich Anfang der 1920er Jahre im Café de Nadie KünstlerInnen der Künstlergruppe “Los Estridentistas” trafen; in Nigeria, wo sich nach Ende der britischen Kolonialherrschaft die Mbari-Clubs zu Zentren der nigerianischen Moderne entwickelten; oder in Teheran, wo im Rasht 29, einem privaten Club der Teheraner Kunstszene, durch die intensive Auseinandersetzung mit der iranischen Tradition und der Ästhetik der Moderne und der Pop Art in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die Entwicklung neuer Bildsprachen angeregt wurde.

Der Bedeutung der Harlem Jazz Nightclubs im New York der 1920-1940er Jahre ist ebenfalls ein Raum gewidmet. Harlem war damals das Zentrum der Afroamerikaner in New York. Die gesellschaftliche, kulturelle und künstlerische Freiheit in diesem Umfeld ermöglichte es den KünstlerInnen, die Identität der schwarzen Bevölkerung neu zu definieren und rassistische Klischees zu hinterfragen. Im sog. “Jazz Age” der Musik haben Louis Armstrong, Duke Ellington und Ella Fitzgerald ihre Karriere im Cotton Club begonnen – einem Club, zu dem damals Schwarze als Gäste keinen Zutritt hatten.

In der gemeinsam vom Belvedere Wien und dem Barbican London gestalteten Ausstellung sind insgesamt sind etwa 320 Objekte, Gemälde, Zeichnungen, Drucke, Fotografien, Filme, Einrichtungsstücke, Plakate, Einladungskarten und Programme zu sehen. Das Besondere an dieser Ausstellung sind jedoch die originalgetreuen Rekonstruktionen einiger dieser Schauplätze, für die künstlerische Details und architektonische Details nachgebaut und illustriert wurden: Das Schattenspiel im Chat Noir, Susanne Wengers Fassadengestaltung für den Mbari Mbayo Club in Nigeria, der Kino- und Tanzsaal des Café L´Aubette und der Barbereich des Wiener Kabaretts Federmaus.

Am Ende der Ausstellung gibt es – besonders für die Fans der Wiener Werkstätte – noch ein besonderes Erlebnis: In einem eigenen Raum wurde der berühmte Barbereich des Wiener Kabaretts Fledermaus nachgebaut. Die Mosaikfliesen wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität für angewandte Kunst Wien für die Ausstellung rekonstruiert. Das Gesamtkonzept wurde ursprünglich von Josef Hoffmann entworfen, die Gestaltung erfolgte durch die Wiener Werkstätte. Besonderes Augenmerk wurde auf das Kunsthandwerk gelegt. In einem weiteren Raum sind ein für diese Bar von Josef Hoffmann entworfener ein Blumentopf, eine Pfeffermühle, eine Aschenbecher, eine Vase und Stühle zu sehen. Das Konzept von den Entwürfen für Vorhänge und Teppiche, bis hin zur Getränkekarte, den Ansteckklammern für das Personal und den Programmheften umgesetzt. Von 1907 bis 1913 wurden in diesem Kabarett satirische Theaterstücke, Schattentheater, avantgardistischer Tanz, Konzerte etc. aufgeführt.

Ausstellungsansicht INTO THE NIGHT Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Die Ausstellung ist noch bis 1. Juni 2020 zu sehen und wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet!

Adresse: Unteres Belvedere, Rennweg 6 , 1030 Wien http://www.belvedere.at

Anreise: Straßenbahnlinie 74 (hält direkt vor dem Unteren Belvedere)

Öffnungszeiten: Täglich 10:00 – 18:00 Uhr, Freitag 10:00 bis 21:00 Uhr

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