Wien – Shanghai

Wien – Shanghai

Die Wiener in China

Unter dem Titel “Die Wiener in China” zeigt das Jüdische Museum in Wien eine Ausstellung über das Schicksal der Wiener Jüdinnen und Juden, die vor der Verfolgung der Nationalsozialisten nach Shanghai geflüchtet sind.

Nach einer zunehmenden Verschlechterung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse während des Ständestaates war die Lebenssituation von Jüdinnen und Juden nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 und besonders nach der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 durch Verfolgung, Verlust ihrer BürgerInnenrechte, Enteignungen und drohende Deportationen in Konzentrationslager geprägt. Alle, die dazu in der Lage waren, versuchten der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zu entkommen.

Nach der Konferenz von Évian im Juli 1938, bei der 32 Staaten und 24 Hilfsorganisationen über das Problem der stark ansteigenden Zahl der Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich beraten hatten, wurde dies zunehmend schwieriger, da viele Aufnahmeländer die Grenzen schlossen und immer weniger Länder bereit waren, Flüchtlinge aufzunehmen. Ein Fluchtweg, der offen blieb, war Shanghai in China.

Seit den Opiumkriegen mit dem Kaiserreich China Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die USA, Großbritannien und Frankreich eigene exterritoriale Gebiete in der Stadt Shanghai. Zu dieser Zeit entwickelte sich die die Stadt zu einem Zentrum der Moderne und des Fortschritts. In den 1930er Jahren war die Stadt Brennpunkt im Konflikt zwischen China und Japan um die Vorherrschaft in der Region. 1932 kam es zu Kampfhandlungen, nach denen eine japanische Garnison in der Stadt stationiert wurde. 1937 kam es nach einem Angriff zu monatelangen Kampfhandlungen und in der Folge zur Eroberung der Stadt durch die Japaner.

Strassenszene Shanghai ca.1940. c-Sammlung-Klomfar-Foto: Hans-Basch

Für die Flüchtlinge am wichtigsten war jedoch der Umstand, dass für Shanghai kein Visum benötigt wurde. Allerdings wurde von den Nationalsozialisten als Ausreisepapier ein Visum oder ein Ticket verlangt. Der damalige Generalkonsul in Wien, Dr. Feng Shan Ho, stellte gegen den Willen der chinesischen Regierung tausende Visa aus, da diese sowohl die Ausreise als auch die Durchreise durch andere Länder auf dem Weg nach Shanghai ermöglichten und rettete damit tausenden Menschen das Leben. Rund 5000 Wiener Jüdinnen und Juden fand Zuflucht an diesem Ort; insgesamt nahm die Stadt 18.000 Flüchtlinge auf.

Es war ein Fluchtweg, der sehr teuer war; wenn nicht genug Geld vorhanden war, konnte oft nur ein Teil der Familie diesen Weg antreten. dazu kam, dass die Plätze auf den Schiffen oft ausgebucht waren. Diejenigen, die das Land verlassen mussten, mussten ihren gesamten Besitz zurücklassen, der von den Nationalsozialisten “beschlagnahmt” wurde, und durften nur das notwendigste mitnehmen; selbst das Handgepäck wurde von Nazionalsozialisten genau kontrolliert.

Das bedeutete, dass sie nach der wochenlangen Schiffsreise oder nach einer beschwerlichen Reise auf dem Landweg über Sibirien bei ihrer Ankunft nicht nur mit einer völlig neuen Kultur, Sprache, anderen Umgangsformen und ungewohnten klimatischen Bedingungen konfrontiert wurden, sondern sich auch finanziellen Problemen und der Frage Sicherung ihres Lebensunterhaltes stellen mussten. Nach ihrer Ankunft wurden sie vorerst registriert und in lagerähnlichen Heimen mit Schlafsälen mit mehr als hundert Betten untergebracht.

Trotzdem gelang es ihnen in den ersten Jahren unter großen Anstrengungen in der neuen Umgebung Fuß zu fassen und in Shanghai “Little Vienna” aufzubauen. Es war ein Stadtviertel, in dem es Restaurants, Cafés, Handwerker, sogar einen Heurigen und einen Würstelstand, Handwerker, Sportvereine und Zeitungen gab und selbstverständlich auch Musikabende, Operetten-, Kabarett- und Theateraufführungen und ein Puppentheater.

Visitenkarte Café Fiaker Shanghai

Die Einnahme Shanghais durch die Japaner, die seit 1941 Verbündete des Deutschen Reichs waren, führte zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen. 1943 wurde die Errichtung eines Ghettos in einem heruntergekommenen Stadtviertel Hongkew beschlossen. Die jüdischen Flüchtlinge wurden gezwungen, dorthin umzusiedeln , konnten das Ghetto jedoch mit Passierscheinen, die von den Japanern willkürlich gewährt oder vorenthalten wurden, verlassen. Dazu kam die ständige Angst vor weiterer Verfolgung und Auslieferung. Im Ghetto führten sowohl die katastrophalen hygienischen Verhältnisse als auch die schlechte Versorgungslage zu Krankheit (wie Typhus, Gelbfieber) und Hunger. Die Versorgung mit Lebensmitteln und der Betrieb der Schulen wurden durch bereits seit dem 19. Jahrhundert in Schanghai ansässige jüdische Familien und internationale Hilfsorganisationen aufrecht erhalten.

Eingang zum Hongkew-Ghetto in Shanghai, April-1946.
c-Arthur-Rothstein.

Gegen Ende des Krieges war Shanghai eine umkämpfte Stadt. Im Juli 1945 wurden bei einem Luftangriff der Amerikaner auf eine japanische Radiostation im Ghetto 4000 Menschen getötet. Erst mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945 endete der Zweite Weltkrieg auch in dieser Region. Shanghai fiel damit wieder unter nationalchinesische Herrschaft.

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges strebten die Flüchtlinge, besonders weil die Auseinandersetzungen zwischen der Nationalen Volkspartei und der Kommunistischen Partei Chinas zunahmen und ein Bürgerkrieg in China absehbar war, die Rück- und Weiterreise an, vor allem in die USA, nach Kanada, Australien und Israel, aber auch nach Österreich und Deutschland. Dies war, weil die Flüchtlinge noch als Staatenlos galten und über keine Reisepässe verfügten und zudem Transportmöglichkeiten fehlten, schwierig. Das erste Schiff nach Europa verließ Shanghai 1946; als es in Genua ankam, wurden die Flüchtlinge in Viehtransportwagen (!) zurückgebracht – nach Wien: in eine durch den Krieg zerstörte Stadt, in der die Entnazifizierung nicht gelang, in der sie nicht willkommen waren und in der sie von der Ermordung ihrer Familie und Freude erfahren mussten.

Diese von der Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera, und der Kuratorin Daniela Pscheiden kuratierte Ausstellung erzählt vom Leben, vom Willen zu leben und den Kampf um das Überleben, über das Weiterleben in furchtbaren Zeiten und vor allem von der Hoffnung, die auch unter schwierigsten Lebensumständen nicht aufgegeben wurde.

Mit kuren online-Führungen (Länge ca. 1-2 Minuten) gibt die Direktorin des Museumskleine Einblicke in die Ausstellung: https://www.youtube.com/watch?v=vDv3n73YB5I

Das Jüdische Museum Wien ist ab 8. Februar 2021 wieder geöffnet!

Die Ausstellung ist bis 27. Juni 2021 zu sehen!

Jüdisches Museum Wien: Dorotheergasse 11, 1010 Wien http://jmw.at

Öffnungszeiten: Sonntag-Freitag 10:00-18:00 Uhr, Sonntag geschlossen

Katalog:

Die Wiener in China. Fluchtpunkt Shanghai. Little Vienna in Shanghai. Hg. Danielle Spera/Daniela Pscheiden. Amalthea Verlag, Wien 2020.

David Ludwig Bloch, Straßenszene in Hongkew. Aquarell 1949. c-Leo-Baeck-Institute, NY

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