Ansichtskarte?!

Ansichtskarte?!

Eine Erfolgsgeschichte

Mit der Ausstellung “Großstadt im Kleinformat. Die Wiener Ansichtskarte” im Wien Museum MUSA ist dem Kurator Sándor Békési gelungen, einen Bogen über die Entstehung und Entwicklung dieses Kommunikationsmittels seit seinen Anfängen, seine Bedeutung bis in die heutige Zeit und seinen Einfluss auf unser Kommunikationsverhalten auf Social Media und Smartphone zu spannen.

Die Ausstellung erzählt nicht nur die Geschichte der Ansichtskarte, sondern schärft auch die Wahrnehmung dafür, wie Wirklichkeit erzeugt und transportiert wird, wie sehr sie auf den jeweiligen Zeitgeschmack abgestimmt ist und wie sich Darstellungen und Inhalte im Lauf der Zeit verändern.

Ausstellung “Großstadt im Kleinformat”. Die Wiener Ansichtskarte”. Wien Museum MUSA. Ausstellungsansicht

Entwickelt hat sich die Ansichtskarte aus der amtlichen Postkarte. Die “Correspondenzkarte” wurde von der Postverwaltung ab 1. Oktober 1869 in der österreichisch-ungarischen Monarchie eingeführt und hatte lt. Verordnung des Handelsministeriums auf der Vorderseite die Adresse und auf der Rückseite die Mitteilung zu enthalten. Bald wurde sie für kurze, schriftliche Mitteilungen ein beliebtes und häufig genutztes Mittel der Kommunikation.

Dies hatte mehrere Gründe: erstens gab es noch kein Telefon, zweitens fielen für den Versand einer Correspondenzkarte nach allen Orten der Monarchie ohne Unterschied der Entfernung die gleichen Kosten an. In der Großstadt Wien wurde vor dem 1. Weltkrieg die Post fünf- bis siebenmal täglich (!) zugestellt – Correspondenzkarten waren damit zumindest in der Großstadt auch ein “schnelles” Kommunikationsmittel.

Historisch gesehen war die Postkarte der erste Nachrichtenträger, der von Beginn an durch einheitliche Standards geregelt wurde. Die erfolgte zuerst auf nationaler Ebene und ab 1874 durch die Gründung des Weltpostvereins auf internationaler Ebene. Mit anderen Worten wurden sowohl das Porto, als auch die Form im Hinblick auf die Größe und Struktur, Nachrichten und Adressfeld einheitlich festgelegt.

Durch ihre Beliebtheit wurden die Correspondenzkarten in einem nächsten Schritt mit privaten Werbeaufnahmen, Texten, Abbildungen von Produkten oder Sehenswürdigkeiten versehen. Im Zeitalter der Industrialisierung kam es durch den zunehmenden Ausbau des Bahn- und Schiffsverkehrs zu einem ersten Aufkommen des “Fremdenverkehrs”. Dies förderte auch den Aufstieg der Ansichtskarte, die um 1900 ihre erste Hochblüte erlebte.

Mehrbildkarte mit Stephansdom, Graben und Ringstraße, Verlag Karlmann & Franke, 1891. © Wien Museum

Damit wurden die Ansichtskarten auch zu einem lukrativen Markt, der zur Entstehung einer “Postkartenindustrie” führte, in der Verlage, Papierfabriken, Druckanstalten, Fotograf:innen, Verkaufstellen und Straßenverkäufer tätig waren. Damals entwickelte sich auch die Form der Ansichtskarte, die wir bis heute kennen: mit einem Bild auf der Vorderseite und dem Adressteil und Platz für die Mitteilung auf der Rückseite. Die Ansichtskarte wurde um 1900 zu einem Massenmedium, mit hohen Auflagen und einer Vielzahl an Motiven und Einsatzmöglichkeiten im Alltag.

Zu Beginn dominierten bei den Darstellungen noch grafische Motive. Die zur gleichen Zeit erfolgende Weiterentwicklung von Drucktechnik und Fotografie führte dann dazu, dass sich die Fotografie, das Bild, durchsetzte. Wobei damals die Stadt nicht nur mit herausragenden Sehenswürdigkeiten und Ausflugszielen sondern mit einer Vielzahl an Motiven von Straßen, Plätzen, Gebäuden präsentiert wurde. Ein wichtiger Teil der Ansichtskartenproduktion befasste sich mit Karten, die als Werbung von Firmen, Gastronomiebetrieben und Geschäften eingesetzt wurden, oder von Schulen, Krankenhäusern und Vereinen aufgelegt wurden. Um 1900 wurden auch verstärkt Kunstpostkarten auf den Markt gebracht, sowohl von der Wiener Werkstätte, die diese in kleinen Auflagen als eigenständige Kunstwerke herausgab, als auch als in großer Auflage hergestellte Motive mit Alt-Wiener-Vedutenmalerei, die Ansichten aus dem “Alten Wien” zeigten.

Die Ausstellung vermittelt, welch bedeutende Rolle die “illustrierten Postkarten” für die Wahrnehmung, Repräsentation und Dokumentation einer Stadt haben: “Ansichtskarten sind nicht einfach Abbilder der Stadt. Sie spiegeln gesellschaftliche Verhältnisse wider und sind symbolisch aufgeladene Interpretationen” (Ausstellungstext). Bereits in ihren Anfängen wurden durch die Wahl des Bildmotivs und -ausschnitts und der Perspektive, aber auch gezielt durch Bildbearbeitungen wie Retuschierungen und Montagen “schöne”, d.h. dem Zeitgeschmack des Bürgertums entsprechende, Bilder produziert.

Ausstellung “Großstadt im Kleinformat”. Die Wiener Ansichtskarte”. Wien Museum MUSA. Plakat zur Ausstellung

Nach dem 1. Weltkrieg dominierte die schwarz-weiß-Fotokarte. Gleichzeitig wurde die Ansichtskarten verstärkt auch als Träger von politische Botschaften, Propaganda, Großveranstaltungen aber auch Ereignissen wie dem Justizpalastbrand und von Naturereignissen eingesetzt.

Nach 1945 gab es weitere Veränderungen. Zuerst wurde die große Anzahl der dargestellten Gebäude und Themen eingeschränkt. Durch den sich ab den 1950er Jahren zunehmend entwickelnden Tourismus und den Einsatz den farbigen Offset-Drucks erlebte die Ansichtskarte aber nochmals einen Boom. Tatsache ist, dass sich die Ansichtskarte bis heute als Nischenprodukt erhalten hat und Werbepostkarten nach wie vor ihre Bedeutung haben.

Was die Ausstellung deutlich macht, ist, dass Ansichtskarten und die von ihr vermittelten Bilder der Stadt Wien ein Teil unseres kulturellen Gedächtnisses sind. Doch “trotz ihrer Vielzahl vermittelt die Ansichtskarte stets ein fragmentarisches Bild der Stadt”, eine Wirklichkeit, die auf die jeweiligen Bedürfnisse und Ideale des Zielpublikums abgestimmt ist (Ausstellungstext).

Die Art und Weise, wie Generationen durch Correspondenz- und Ansichtskarten ihre Mitteilungen gestaltet haben, ist in veränderter Form auch in unserer modernen Medienwelt präsent. Durch den Versand kurzer Bild- und Textnachrichten wurden die Funktion und Form dieses Mediums durch Smartphone und Social Media übernommen.

Mit dieser außerordentlich gut gestalteten und aufbereiteten Ausstellung ist ein wichtiger Meilenstein gesetzt worden: Anhand eines Beispiels aus dem Alltag die Verbindung von Geschichte und Gegenwart herzustellen.

Die sehr empfehlenswerte Ausstellung ist noch bis 24. September 2023 im Wien Museum MUSA zu sehen!

Adresse: Wien Museum MUSA, Felderstraße 6-8, 1010 Wien (hinter dem Rathaus) https://www.wienmuseum.at/ausstellungen/aktuelle-ausstellungen

Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag und Feiertag 10:00 – 18:00 Uhr

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