Demokratie!

Demokratie!

und ihre Zerstörung in Österreich 1933/34

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, die parlamentarische Demokratie und ihre Grundsätze mussten hart erkämpft werden. In Österreich wurden mit der Verfassung von 1920 die Grundlagen für die liberale parlamentarische Demokratie geschaffen, die Einführung von allgemeinen und freien Wahlen, Gewaltentrennung, d.h. eine Trennung von Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtssprechung, und individuelle Grund- und Freiheitsrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit, Freiheit von Kunst und Wissenschaft verankert.

In der 1. Republik erfolgte die Zerstörung der Demokratie nicht erst durch die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich im Jahr 1938, sondern bereits viel früher, im März 1933. Eine Ausstellung der Wien Bibliothek, die in Kooperation mit dem Wien Museum zum Thema “Die Zerstörung der Demokratie. Österreich, März 1933 bis Februar 1934” gestaltet wurde und die gleichlautende, umfangreiche und reichbebilderte Publikation, ein Grundlagenwerk für diese Zeit, widmen sich diesem Abschnitt der Geschichte Österreichs.

Beleuchtet werden die Ereignisse vom März 1933 bis Februar 1934, die AkteurInnen, die Opposition, BeobachterInnen wie JournalistInnen und AutorInnen und die Opfer, die Folgen für den Staat und für Einzelpersonen. Begonnen hatte diese Entwicklung bereits in den 1920er Jahren, mit der Verächtlichmachung des Parlamentarismus, der Demokratie und der seit der Gründung der Republik am 12. Februar 1918 erreichten politischen und sozialen Errungenschaften.

Die Folgen der Weltwirtschaftskrise 1929, die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation, verbunden mit massiver Arbeitslosigkeit ohne ausreichende Absicherung, Rückgang der Beschäftigung, Lohn- und Gehaltskürzungen, die nicht nur zu einem drastischen Rückgang der Konsumnachfrage führte, sondern auch zu zu massiven sozialen Problemen, für die eine Lösung gefunden werden musste, hatten ebenfalls Auswirkungen auf die politische Situation.

Innenpolitisch gab es zu dieser Zeit in Österreich eine sich abzeichnende politische Machtverschiebung in Richtung der Sozialdemokratie. Bei Landtagswahlen im Jahr 1932 in Wien, Salzburg und Niederösterreich hatten die Christlichsoziale Partei leichte, die deutschnationale Volkspartei und der Landbund große Verluste erlitten. Damit war erkennbar, dass sich nach einer Nationalratswahl die politische Machtverteilung in Richtung der Sozialdemokraten, denen gute Chancen auf eine relative Mehrheit eingeräumt wurde, verändern würde; an zweiter Stelle wurden je nach Prognosen entweder die Christlichsozialen oder die Nationalsozialisten gesehen. Damit stieg die Möglichkeit einer großen Koalition zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen, wie es sie zu Beginn der 1. Republik bereits gegeben hatte.

Um dies zu verhindern, wurden vom damaligen Justizminister und späteren Bundeskanzler Kurt Schuschnigg bereits 1932 Überlegungen zur Ausschaltung des Parlaments angestellt. Es sollte nur noch Monate dauern, bis eine Geschäftsordnungskrise im Parlament die Möglichkeit und den Vorwand dazu bot, das Parlament auszuschalten. Hier noch ein Hinweis: die immer noch vertretene Behauptung von der Selbstausschaltung des Parlaments war und ist nichts anderes als die versuchte Rechtfertigung für die bis März 1934 durch gezielte Maßnahmen erfolgte Zerstörung der Demokratie.

Was geschah am 4. März 1933? An diesem Tag fand eine Sondersitzung des Parlaments statt, bei der Formfehler und Geschäftsordnungsprobleme zu einem Rücktritt aller drei Präsidenten des Nationalrates führten, sodass eine formale Schließung der Sitzung nicht mehr möglich war, da durch die Geschäftsordnung des Nationalrates für einen solchen Fall keine Vorkehrungen getroffen wurden. Alle konstruktiven Lösungen für dieses Problem wurden durch die vom Bundespräsidenten gedeckte Regierung und die Regierungsparteien verhindert.

Und dann ging es Schlag auf Schlag: Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917, das damals während des Krieges für außerordentliche Verhältnisse zur Linderung der wirtschaftlichen Notlage geschaffen worden war, bei denen die Regierung Notverordnungen mit Gesetzeskraft ohne Beiziehung des Parlaments, z.B. zur Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln, erlassen konnte, wurde durch eine rechtlich nicht haltbare Auslegung durch die Regierung Dollfuß herangezogen, um mittels Notverordnungen zu regieren, die Opposition auszuschalten und Grund- und Freiheitsrechte einzuschränken oder ganz abzuschaffen.

Begonnen wurde bereits am 7. März 1933 mit der Einschränkung politischer Grundrechte und sozialer Errungenschaften, von denen hier einige angeführt werden sollen: Verbot politischer Versammlungen, Verbot politischer Demonstrationen, Fahnenverbot und Uniformverbot, wenn durch diese eine politische Einstellung zum Ausdruck gebracht wurde, Verbot von Plakaten und Flugblättern, Einführung der Pressezensur, laufende Verschlechterungen für Arbeitslose, Einschränkung des Streikrechts, Verbot von Neuwahlen für Landtage und Gemeinderäte, die Gleichschaltung der Arbeiterkammern und die Wiedereinführung des Standrechts und der Todesstrafe. Mit der Doppelverdienerverordnung über den “Abbau verheirateter weiblicher Personen im Bundesdienste” wurde auch die frauenpolitische Ausrichtung hin zu Kinder, Küche, Kirche offensichtlich.

Streuzettel der SDAP zum 1. Mai 1933. Wienbibliothek im Rathaus, C-85230

Eine ganz wesentliche Verordnung vom 23. Mai 1933 war jene zur Abänderung des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1930 zur Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes, damit dieser als Hüter der Verfassung die Verfassungswidrigkeit der von der Regierung erlassenen Notverordnungen nicht bestätigen konnte.

Auf der Grundlage der Notverordnungsmaßnahmen begann zur gleichen Zeit auch ein Feldzug gegen das “rote” d.h. sozialdemokratisch regierte Wien, das mit seinen richtungsweisenden sozialen, bildungspolitischen und kulturellen Errungenschaften ein modernes Weltbild verkörperte, das von der Regierung Dollfuß und den sie unterstützenden Organisationen abgelehnt wurde. Durch eine strategisch geplante Änderung des Finanzausgleichs zwischen Wien und den anderen Ländern wurde der Finanzhaushalt Wiens nachhaltig angegriffen, was vor allem Einschränkungen bei den Investitionen, besonders im Wohnbau, zur Folge hatte.

Otto Bauer (1881-1938) stellv. Parteivorsitzender der SDAP 1918-1934. Flucht 1934. Ausstellungsansicht

Im Zentrum dieser Maßnahmen stand die politische und finanzielle Schwächung der Sozialdemokratie und ihrer Organisationen. Obwohl die Führung der Sozialdemokratie, allen voran Otto Bauer, die in Kenntnis der personellen Überlegenheit der Gegner (rechte Wehrverbände, Bundesheer, Polizei, Gendarmerie) und ihrer modernen militärischen Ausrüstung bis zuletzt und fast bis zur Selbstaufgabe an Verhandlungen festhielt, kam es im Februar 1934 zu einem Aufstand in Linz, Wien, Linz, Steyer, im oberösterreichischen Kohlerevier, im obersteirischen Industrierevier und in Graz, der “mit aller Brutalität” (Dollfuß) niedergeschlagen wurde.

Emmy Freundlich 1878-1948. 1918 eine der ersten sozialdem. weibl. Abgeordneten im Nationalrat, 1934 verhaftet, 1939 Emigration. Ausstellungsansicht

Bereits am 12. Februar 1934, dem ersten Tag der Februarkämpfe, wurde die sozialdemokratische Partei (SDAP) verboten, und ihr Parteivermögen und Liegenschaften beschlagnahmt; noch im März 1934 421 sozialdemokratische Vereine aufgelöst. Alle führenden FunktionärInnen, die noch nicht geflüchtet oder untergetaucht waren, wurden verhaftet, viele davon ins Anhaltelager Wöllersdorf gebracht und dort festgehalten. Ins Ausland geflüchtete ParteifunktionärInnen wurden ausgebürgert und ihr Vermögen eingezogen. Im Zuge der Februarkämpfe wurden österreichweit rund 10.000 Personen verhaftet, 140 Standrechtsurteile gefällt und 9 Todesurteile vollstreckt. Damit war die Ausschaltung der politischen Opposition abgeschlossen und der Hauptgegner, die Sozialdemokratie, entmachtet.

Der im Jahr 1933 erfolgte Bruch mit der rechtsstaatlichen demokratischen Ordnung war gleichzeitig der Beginn des Aufbaus des austrofaschistischen Herrschaftssystems, das bis 1938 bestand.

Links:

Ausstellung “Die Zerstörung der Demokratie”: bis 16. Februar im Ausstellungskabinett der Wienbibliothek im Rathaus

Adresse: 1010 Wien, Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6, Glaslift, 1. Stock
Montag bis Freitag, 9.00 bis 19.00 Uhr, Geschlossen: Samstag, Sonntag, Feiertage
Eintritt frei! https://www.wienbibliothek.at/besuchen-entdecken/ausstellungen/zerstoerung-demokratie

Ausstellungsfolder: https://www.wienbibliothek.at/sites/default/files/files/2023-04_Ausstellungsfolder_Zerst%C3%B6rungDerDemokratie_WEB.pdf

Publikation zur Ausstellung: Die Zerstörung der Demokratie. Österreich März 1933 bis Februar 1934. Hg. Bernhard Hachleitner, Alfred Pfoser, Katharina Prager, Werner Michael Schwarz. Residenz Verlag, Salzburg – Wien 2023 https://www.residenzverlag.com/suche?term=Die+Zerst%C3%B6rung+der+Demokratie

Aufzeichnungen von Veranstaltungen zur Ausstellung:

Ausstellungseröffnung und Buchpräsentation (62 min): https://www.youtube.com/watch?v=OWEYODm1QjI

Austrofaschismus und Wien. Ein revisionistisches Projekt (1h 37 min): https://www.youtube.com/watch?v=8oDuHH7oYco&list=PL2rFbWTtpywYpbQA0oYOTStk1aSw2pHvu&index=3

Frauen und die Zerstörung der Demokratie 1933/34. Widerstand und Unterstützung (1h 21min): https://www.youtube.com/watch?v=eMdM8AmrTt4&list=PL2rFbWTtpywYpbQA0oYOTStk1aSw2pHvu


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