Häuser erzählen Geschichte

Häuser erzählen Geschichte

Zeugen ihrer Zeit

Häuser haben nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern sie erzählen auch von ihren Erbauern und BewohnerInnen. Eine Historikerin, die diesem Zugang zur Geschichte seit Jahren fundiert, akribisch und an vielen Orten nachgegangen ist, ist Marie-Theres Arnbom. Nun hat sie ihre “Forschungsreise” zu den Villen nach Baden bei Wien geführt. Entstanden ist eine Ausstellung im Kaiserhaus in Baden mit dem Titel “Sehnsucht nach Baden. Jüdische Häuser erzählen Geschichte(n)”, die ihrem Motto “Den Menschen ihre Geschichte zurückgeben” gerecht wird. Denn viele dieser Villen waren in jüdischem Besitz, wurden enteignet und die darin lebenden Menschen vertrieben oder ermordet.

Baden bei Wien war schon Ende des 18. Jahrhunderts ein bekannter Kurort und blieb auch im 19. Jahrhundert eine beliebte Sommerfrische. Wesentlich dazu beigetragen hat der Umstand, dass Baden seit 1796 Sommerresidenz von Kaiser Franz II (I.) war. Mit dem Kaiser kam nicht nur der Hofstaat, sondern auch der Hochadel und wohlhabende Bürger in diese rund 35 km südlich von Wien gelegene Stadt. Baden war einerseits geprägt durch eine Altstadt mit neuen Palais, Theatern und Kaffeehäusern, die Schwefelquellen und durch eine ländliche Umgebung. Die Nähe Wien, die schöne Landschaft und das kulturelle Leben der Stadt waren der Grund dafür, dass sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts reiche Bürger und Industrielle an diesem Ort Villen erbauten, um hier ihre Sommer zu verbringen.

Die kleine, aber feine Ausstellung erzählt von zehn Villen, ihren Erbauern und Architekten und von der Geschichte ihrer Bewohner:innen. Die Villen wurden in verschiedenen Epochen und Baustilen vom Historismus über die Neorenaissance bis hin zum Jugendstil errichtet. Dabei ist es vor allem die Geschichte der Menschen, die in diesen Villen lebten und die Sommermonate in Baden verbrachten, die die Vergangenheit lebendig werden lässt. Die meisten ihrer Besitzer entstammten dem Großbürgertum, waren Kaufleute, Industrielle oder Bankiers und viele hatten jüdische Wurzeln.

Villen in der Marchetstrasse frueher Bergstrasse um 1850. c_Rollettmuseum-Baden. Download von: bilderserver.skyunlimited.at/Kaiserhaus-Baden/Sehnsucht-nach-Baden

Es sind Geschichten wie jene des Aufstiegs von Moritz Rothberger und seiner Familie, der Besitzer des Kaufhauses Rothberger am Stephansplatz, und von Emil Jellinek-Mercedes, der nicht nur mit Daimler-Fahrtzeugen handelte, sondern sich auch ein Auto bauen ließ, das er nach seiner Tochter Mercedes nannte. Sein Sohn Raoul Fernand war Schriftsteller; er nahm sich nach einem Verhör durch die Gestapo am 10. Februar 1939 in der Villa in Baden das Leben. 

Der Bankier Gustav Epstein ließ sich 1867 von Otto Wagner eine Villa in Baden erbauen, musste sie nach dem Verlust seines Vermögens beim Börsenkrach 1873 jedoch an Erzherzog Rainer verkaufen. Wir erfahren über die Geschichte der Süßwarenfabrikanten Brüder Gustav und Wilhelm Heller und ihrer Nachfahren; lernen eine der bedeutendsten Industriellenfamilien der Monarchie, die Kohlen-Gutmanns, kennen; begegnen einem der bekanntesten Patentanwälte Wiens, Dr. Adolf Gallia, dessen Nachfahren nach Australien fliehen mussten; erfahren vom Bankier Albert Benbassat, der mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen 1938 nach Rumänien und von dort 1942 weiter in die Schweiz flüchten konnte und nach dem Krieg mit seiner Familie nach Amerika auswanderte.

Villa Gutmann um 1885 Kuenstler-unbekannt©Rollettmuseum Baden.Foto-Thomas-Magyar. Download von: Download von: bilderserver.skyunlimited.at/Kaiserhaus-Baden/Sehnsucht-nach-Baden

Samuel Ritter von Hahn, der Ende des 19. Jahrhunderts einer der einflussreichsten Industriellen in Europa war, ließ sich in den Jahren1885/86 von Otto Wagner eine Villa in Baden errichten. Seine Tochter, die die Villa erbte, konnte die Villa dadurch vor der Enteignung durch die Nationalsozialisten bewahren, dass sie sie ihrem nichtjüdischen Mann schenkte.

Heinrich Klinger war Industrieller, in der Handelskammer tätig und Präsident der israelitischen Kultusgemeinde, sein Sohn Norbert Rechtsanwalt. Dessen bedeutende Kunstsammlung wird von den Nationalsozialisten enteignet, er stirbt 1941 in Wien; seine Frau Seraphine wurde nach Theresienstadt deportiert und starb dort 1943.

Eine Villa, die von Otto Prutscher im Jugendstil und im Sinne eines Gesamtkunstwerkes für Rudolf Bienenfeld erbaut und 1927 verkauft wurde, befand sich 1938 im Besitz von Josef und Jana Weintraub. Sie wurden 1942 gezwungen, ihren Besitz zu verkaufen und wurden nach Theresienstadt deportiert. Jana Weintraub kam am 17. Mai 1944 in Ravensbrück um, Josef Weintraub am 18. Mai 1944 in Buchenwald. Ihre Tochter, der die Flucht in die USA gelang, erhielt im Jahr 1950 die Villa zurück; 1959 wurde die Villa verkauft.

Villa Mercedes, 1904. Stadtarchiv Baden. Foto aus der Ausstellung Sehnsucht nach Baden
Villa Mercedes-Jellinek. Foto nach 1945. Wienerstrasse-41-43. c Stadtarchiv-Baden. Download von: bilderserver.skyunlimited.at/Kaiserhaus-Baden/Sehnsucht-nach-Baden(Heute steht an dieser Adresse eine Wohnhausanlage)

Wie aus den Geschichten der Familien ersichtlich wird, bedeutete der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 für jüdischen Familien “Verfolgung, Hass, Enteignung und Tod”. Diejenigen, denen die Flucht gelingt und in der Emigration überleben, versuchen nach dem Ende des Krieges, ihr Eigentum in Österreich zurückzubekommen. “Langwierige Korrespondenzen, eine überbordende Bürokratie und wenig Entgegenkommen des österreichischen Staates erweisen sich als mühevoll. Die meisten der Badener Villen werden den Eigentümern zurückgegeben, oftmals mit Vergleichszahlungen verbunden, die dem eigentlichen Wert der Villen nur selten entsprechen. Die Familien verkaufen die Villen nach einigen Jahren – in Australien oder Amerika könne sie mit einer Villa in Baden nur wenig anfangen.” (Zitate aus dem Ausstellungstext).

Es ist ein ganz besonderer Verdienst dieser Ausstellung, an jene Familien zu erinnern, die bis 1938 in diesen Villen in Baden lebten, und uns damit einen anderen Zugang zur Sommerfrische in Baden und ihrer sehr wechselvollen Geschichte zu eröffnen.

Die Ausstellung ist noch bis 6. November 2022 im Kaiserhaus in Baden zu sehen!

Adresse: Kaiserhaus Baden, Hauptplatz 17, 2500 Baden

Homepage: https://www.kaiserhaus-baden.at/austellung-sehnsucht-nach-baden/ : auf der Homepage gibt es eine interaktive Karte, bei der man durch anklicken der roten Punkte mehr über die Villen und ihre Bewohner:innen erfahren kann.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, Feiertage: 10:00 – 18:00 Uhr

Zum Weiterlesen und als Anregung für Spaziergänge: Elie Rosen, Jüdisches Baden. Entdeckungsreisen. Spurensuche. Stadtwanderungen. Amalthea Signum Verlag, Wien 2022

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