Marienthal

Marienthal

Eine richtungsweisende Studie

Die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“, ein Klassiker der Sozialforschung, ist ein immer noch aktuelles Grundlagenwerk der Erfoschung der Folgen von Arbeitslosigkeit und war durch ihre besondere Methodik richtungsweisend für die empirische Sozialforschung.

Die Textilfabrik Marienthal war ein Industriebetreib in der niederösterreichschen Gemeinde Gramtneusiedl östlich von Wien. 1929 beschäftigte das Werk noch rund 1.300 MitarbeiterInnen. Die Weltwirtschaftskrise führte jedoch zu einer Schließung des Werkes am 12. Febraur 1930. Das hatte zur Folge, dass 1932 mehr als drei Viertel der Faamilein von Arbietsloigkeit betroffen waren. Von den 146 Einwohnern und insgesamt 478 Familien waren in 367 Familien alle arbeitslos.

Die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ wurde vom Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei angeregt und unter der Leitung von Paul Lazarsfeld von einem aus 16 Personen bestehenden Team aus ForscherInnen (9 Frauen, 6 Männer) durchgeführt. Die Hauptarbeit der Feldforschung leistete Lotte Schenk-Danzinger, Marie Jahoda verfasste den sehr gut lesbaren Haupttext der Studie, Hans Zeisel den Anhang „Zur Geschichte der Demographie.“ Gefördert wurde die Erstellung der Studie durch die Wiener Arbeiterkammer und die „Rockefeller Foundation“, durchgeführt wurde sie von „Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle“.

Untersucht wurden im Rahmen der Studie die sozialen und psychischen Folgen lang dauernder Massenarbeitslosigkeit in einem Dorf.

Textilfabrik Marienthal, © Reinhard Müller, AGSÖ Graz

Die Studie zeichnet sich durch eine große Methodenvielfalt und eine besondere Kombination aus quantitativen (Auswertung von Stdatistiken, Dokumentenanalysen und Aufzeichnungen von Beobachtungen) und qualitativen Erhebnungsmethoden (teilnehmen Beobachtung, Aktionsforschung, Befragungen) aus. Neben objektiven Tatbeständen wurden auch subjektive Einstellungen erhoben. Hervorzuheben ist auch, dass in der Studie die Auswirkungen von Arbeitrslosigkeit. und ihrer unterschiedlichen Auswirkungen auf Frauen und Männer dargestellt werden.

Die Fragestellungen der Studie betreffen die subjektiven Wirkungen lang andauernder Arbeitslosigkeit und die Fragen, wie die Bevölkerung Marienthals mit der Arbeitslosigkeit umgeht, welche Wirkungen die Arbeitslosigkeit auf die Kinder hat, welche Veränderungen es in den Beziehungen der Einwohner zueinander gibt, und ob die Arbeitslosigkeit als Massenschicksal eher eine Radikalisierung oder eine größere Apathie der Betroffenen zur Folge hat.

Museum Marienthal
(früher: Haus des Consum-Vereins)
Foto: © Burkhard Gager, Stegersbach

Ab Ende 1930 erfolgte die Konzeption, in den Jahren 1931 in 1932 die Feldforschung und die Auswertung der Ergebnisse.

Ein wesentliches Ergebnis der Studie war die große Bedeutung der Arbeitslosenversicherung für die soziale Lage und das psychische Befinden der Betroffenen. Anfang der 1930er Jahre richtete sich deren Höhe nach dem letzen Lohn und der Familiengröße richtete und die für 20-30 Wochen ausbezahlt wurde. Danach konnte Notstandshilfe beantragt werden, diese Betrug 80 % der Arbeitslosenunterstützung und wurde für 22-52 Wochen ausbezahlt. Danach gab es keine finanzielle Hilfe mehr.

Das wohl politisch aufsehenerregendste Ergebnis der Studie war, dass zumindest für Marienthal festgestellt wurde, dass die Auswirkungen der Arbietslosigkeit zu Resignation, nicht zur Revolution führen. Dabei wird unterschieden zwischen den Resignierten, den Ungebrochenen, den Verzweifelten und den Apathischen. Die Wahlbeteiligung blieb zwar hoch, allerdings wurde eine starke Abnahem an der aktiven Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben festgestellt. “…die Gesinnung wird nicht verändert, sie verliert nur gegenüber den Sorgen des Alltags an gestaltender Kraft.“ (Zitat Studie)

Die Studie ist erstmals 1933 in Leipzig erschienen. Aufgrund der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde sie aber bereits zum Teil nicht mehr ausgeliefert bzw. bald vom Markt genommen. Die erste Rezension der Erstausgabe schrieb übrigens Käthe Leichter. Erst 1960 wurde die Studie mit geringfügigen Textänderungen und einem ausführlichen Vorwort von Paul Lazarsfeld wieder veröffentlicht. International bekannt wurde sie durch die Herausgabe der englischsprachigen Ausgabe im Jahr 1971.

Literatur:

Marie Jahoda/Paul Lazarsfeld/Hans Zeisel: Die Arbreitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch. Frankfurt am Main 1975

Links:

Suhrkamp Verlag: https://www.suhrkamp.de/autoren/hans_zeisel_5460.html

Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich http://agso.uni-Graz.at

Museum Das rote Wien im Waschsalon Karl Marx Hof: http://dasrotewien-waschsalon.at/fileadmin/DOCS/2017/marienthal_tafeln_waschsalon.pdf

http://dasrotewien-waschsalon.at/fileadmin/DOCS/2017/marienthal_englisch_FINAL.pdf

Film:

Einstweilen wird es Mittag. Regie: Karin Brandauer. Österreich 1985 (DVD)

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