Wendepunkte und neue Wege

Wendepunkte und neue Wege

Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg

Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete in jeder Hinsicht eine Zäsur, auch für Künstlerinnen und die Weiterentwicklung der Kunst nach 1945. Der Sieg der Alliierten über Nazideutschland und den Faschismus, das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und des Weltkrieges war eine Befreiung, die auf allen Ebenen der Gesellschaft und in der Kunst ihren Ausdruck fand. Tatsächlich kann man im Bereich der Kunst von einem Wendepunkt in der modernen Malerei sprechen: der Abstraktion als Ausdruck individueller und gesellschaftlicher Freiheit und Unabhängigkeit von Ideologie und Staatsmacht.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, in Erinnerung zu rufen, dass die nationalsozialistische Rassen- und Kulturpolitik zur Verfolgung, Ermordung oder Vertreibung jener Künstler:innen führte, deren Kunst als “entartet” eingestuft wurde. Von jenen, denen die Flucht gelang, gingen viele in die Vereinigten Staaten von Amerika. Beispielswiese brachten die Surrealisten damals die Technik des Automatismus nach New York und etablierten damit das Unbewusste als Grundlage der Kunst.

Es waren die europäischen Avantgardekünstler:innen im amerikanischen Exil und amerikanische Künstler:innen, die New York neben Paris zum neuen Mittelpunkt der Kunstwelt machten. Bereits in den 1940er Jahren wurde New York zu einer wichtigen Kunstmetropole, deren Galerien, eine der bedeutendsten Galerien war jene von Peggy Guggenheim, einen intensiven Austausch zwischen den amerikanischen und Exil-Künstler:innen ermöglichten.

Der abstrakte Expressionismus steht dabei für die Entwicklung in den USA. Der Begriff “Informel” wurde als Sammelbegriff der nicht-geometrischen, gegenstandlosen, abstrakten Kunstrichtungen in Europa geprägt.

“Mit dem Abstrakten Expressionismus in den USA und dem Informel in Paris wendet sich eine junge Künstlergeneration von den Stilrichtungen der Zwischenkriegsjahre ab. Statt figurativer Darstellung oder geometrischer Abstraktion verfolgt sie einen ungestümen-expressiven, bisher ungekannten, Umgang mit Form, Farbe und Material.” (Direktorin und Kuratorin Angela Stief). Dabei stand verstärkt der Malprozess im Vordergrund, wobei neue Maltechniken eingesetzt wurden. Gleichzeitig fanden die Idee des Unbewussten und Ende der 1940er Jahre die französische Existenzphilosophie Eingang in die Kunst.

Lee Krasner, Bald Eagle, 1955.Collage aus Öl, Papier und Leinwand auf Leinen
ASOM Collection © Pollock-Krasner Foundation/ Bildrecht, Wien2022

Der Besuch einer Ausstellung mit Werken des abstrakten Expressionismus fordert von den Besucher:innen ein Einlassen auf die großformatigen Bilder und Farben, da die Malerei nicht mehr die äußere Wirklichkeit abbildet und die Bildkompositionen kein Zentrum und keine räumliche Komposition im Sinne von Vorder- oder Hintergrund aufweisen.

Der abstrakte Expressionismus hatte verschiedene Ausprägungen, wie das Action Painting, deren bekanntester Vertreter sicher Jackson Pollock ist, die von Helen Frankenthaler entwickelte Soak-Stain Technik und die Farbfeldmalerei (Color Field Painting), die Mark Rothko und Barnett Newman in ihren Werken zeigen.

Beim Action Painting ging es den Maler:innen um die freie und spontane Entfaltung der Kreativität durch den Einsatz ihres Körpers durch spontane Gesten. Ein Beispiel dafür sind die Drip-Paintings von Jackson Pollock, der die Leinwand nicht mehr auf eine Staffelei stellt, sondern auf den Boden legt, und mit rhythmischen Bewegungen Farbe auf den Leinwand tropft, schleudert oder gießt.

Bei ihren Soak-Stain-Bildern begießt Helen Frankenthaler die flach auf dem Boden liegende, nicht grundierte und ungespannte Leinwand mit Farbe und lässt diese Farbe frei über die Oberfläche fließen.

Die Farbfeldmalerei setzt wie das Action Painting und die Soak-Stain-Bilder auf Großformate, verwendet jedoch eine reduzierte Farbpalette und zeigt rhythmisch angeordnete Flächen. Die Bilder wollen zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit der Grundfragen der menschlichen Existenz anregen.

“Der Maler schafft etwas Magisches und Lebendiges auf einer flachen Oberfläche, mit Materialien, die leblos sind. Diese Magie ist es, die ein Gemälde einzigartig und notwendig macht.” (Helen Frankenthaler)

Helen Frankenthaler, April Mood, 1974. Acryl auf Leinwand
ASOM Collection © Helen Frankenthaler Foundation, Inc./ Bildrecht, Wien 2022

Ein wesentlicher Aspekt der Entwicklung der Kunst dieser Zeit ist der Umstand, dass erstmals in der Kunstgeschichte Künstler:innen eine zentrale Rolle zukam, die jetzt – spät aber doch – in der Kunstgeschichtsschreibung zunehmend Anerkennung findet. Als Beispiel sei hier die “9th Street Art Exhibition” in New York im Jahr 1951 genannt, an der 62 Künstler:innen teilnahmen. Davon waren 11 Frauen, die ihre Werke präsentierten, darunter Elaine de Kooning, Lee Krasner, Joan Mitchell, Grace Hartigan und Helen Frankenthaler. Über Helen Frankenthaler habe ich anlässlich der Ausstellung in Krems berichtet: https://www.diespurensucherin.at/helen-frankenthaler/

Von der Albertina modern wird der Bedeutung des Beitrags der Frauen zu Ästhetik der abstrakten Malerei in den USA und in Europa dadurch Rechnung getragen, dass in der Ausstellung “Ways of Freedom” unter den gezeigten 36 Künstler:innen Werke von 14 Frauen sind.

“Wenn ich zu malen beginne, weiß ich nicht, was passieren wird. Wenn man tanzt, hört man auch auf zu denken: jetzt werde ich einen ersten Schritt machen, dann den zweiten! Man lässt einfach los, und der Flow beginnt.” (Elaine de Kooning)

Judit Reigl, Ohne Titel (Reihe Centre de dominance), April 1959
Öl auf Leinwand.Fondation Gandur pour l’Art, Genève
Fotograf: André Morin © Fondation Gandur pour l’Art, Genève

Mit dieser Ausstellung werden anhand von 85 Werken sowohl die Entwicklungen in den USA als auch in Europa nachgezeichnet und gleichzeitig eine Verbindung zur österreichischen Kunst und den Künstler:innen nach 1945 hergestellt. Österreichische Künstler:innen wie Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky, Arnulf Rainer und Maria Lassnig gehörten damals zu den führenden abstrakten Maler:innen in Europa. Nach einem Paris-Aufenthalt zeigten Maria Lassnig und Arnulf Rainer in Klagenfurt bereits 1951 die erste Informel-Ausstellung. Durch die von Monsignore Otto Maurer geführte Galerie nächst St. Stephan bildete sich 1956 die Malergruppe mit Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky und Arnulf Rainer. Die Ausstellung in der Albertina modern gibt einen Überblick über die österreichische Kunst der 1950er bis 1970er Jahre mit einer Auswahl von Werken von Maria Lassnig, Markus Prachensky, Wolfgang Hollegha, Arnulf Rainer, bis hin zu Hans Staudacher, Günter Brus und Hermann Nitsch. Ein besonderer Schatz ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen: zwei Werke der österreichischen Malerin Soshana.

Mit der gemeinsam mit dem Museum Barberini in Potsdam gestalteten Ausstellung “Ways of Freedom” ist es der Albertina modern gelungen, einen Überblick über die Entwicklung der abstrakten Kunst in den USA und in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zu geben und damit zu einem Kennenlernen und besseren Verständnis dieser Kunst beizutragen.

Die beiden sehr informativen Einführungsfilme zur Ausstellung sind besonders zu empfehlen:

Einführung in die Ausstellung “Jackson Pollock bis Maria Lassnig. Ways of Freedom” mit dem Direktor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder (6:45 min): https://www.youtube.com/watch?v=ewjmhbSyzmo

Einen sehr guten Einblick in die Ausstellung vermittelt die Direktorin und Kuratorin der Ausstellung, Angela Stief in dem Film “Jackson Pollock bis Maria Lassnig. Ways of Freedom” (6:19 min): https://www.youtube.com/watch?v=pR9zqHk2aJo

Maria Lassnig, Große Knödelfiguration, 1961/62 Öl auf Leinwand Maria Lassnig Stiftung © Maria Lassnig Stiftung / Bildrecht, Wien 2022

Die Ausstellung ist noch bis 22. Jänner 2023 in der Albertina Modern im Künstlerhaus zu sehen!

Adresse: Albertina modern im Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 1010 Wien https://www.albertina.at/albertina-modern/

Öffnungszeiten: täglich 10:00 – 18:00 Uhr, 24.12.: 10:00 -14:00 Uhr

Katalog: Ways of Freedom. Von Jackson Pollock bis Maria Lassnig. Hg. Klaus Albrecht Schröder, Angela Stief. Albertina modern. Wien 2022

Georges Mathieu, Hommage au Connétable de Bourbon, 1959. Öl auf Leinwand
ASOM Collection © Bildrecht, Wien 2022
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