Tischkultur

Tischkultur

Ein Blick zurück

Vor dem Hintergrund der Ess- und Wohnkultur der 1950er bis 1970erJahre präsentiert die Sonderausstellung im Möbelmuseum Wien “Schöner Essen. Amboss Design & Tischkultur 1950-1970” die Geschichte des Österreichischen Besteckerzeugers Neuzeughammer Ambosswerk im Steyrtal in Oberösterreich.

Teebesteck Modell 2050 mit Kartonverpackung, H. Alder, Neuzeughammer Ambosswerk, um 1955, Bundesmobilienverwaltung © Bundesmobilienverwaltung, Foto E. Knaack

Die traditionell gestaltete Ausstellung stellt die Entwicklung des Unternehmens ab den 1950er-Jahren vom handwerklich geprägten Messer und Stahlwarenerzeuger hin zum industriellen Produzenten von modernen Bestecken und Küchenutensilien aus rostfreiem Stahl vor, präsentiert die von Designern entworfenen Produkte, die grafische Gestaltung der Marke und des Verpackungsdesigns. Gleichzeitig vermittelt die Ausstellung im 2. Teil einen Einblick in die Tischkultur der Wirtschaftswunderjahre und die gesellschaftliche Rolle der Hausfrau in dieser Zeit.

Mit der Integration Österreichs in das demokratische kapitalistische Wirtschaftssystem und dem etwa ab Mitte der 1950er beginnenden und sich in den 1960er Jahre fortsetzenden Wirtschaftsaufschwung wurde durch Vollbeschäftigung und Einkommenssteigerungen der private Konsum angekurbelt und bescheidener Wohlstand für immer mehr Menschen möglich.

Service „Daisy“, Lilien Porzellan, 1959 © Bundesmobilienverwaltung, Möbelmuseum Wien, Foto Edgar Knaack.jpg Kochbuch Dr. Oetker Einsiedehilfe, 1950er Jahre © Privatbesitz

Nach den Mangeljahren der Kriegs- und Nachkriegszeit wurde die Wohnung zum Ort des Rückzugs und der privaten Geselligkeit. Nach der Verbesserung der Versorgungslage nach 1955 wurden das Kochen und Essen und damit die Tischkultur zu einem wesentlicher Aspekt der Zeit des “Wirtschaftswunders”. Damit wird deutlich, wie gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Moden das Design beeinflussen, das wieder in unserem Alltag eine Rolle spielt und unsere Tischkultur mitprägt. Das Möbelmuseum Wien zeigt dazu aus seiner Sammlung verschiedene Ensembles, in deren Mittelpunkt jeweils der für eine Brettljause, einen Nachmittagstee oder ein Familienmittagessen gedeckte Tisch steht.

Ausstellung_Schöner Essen_Amboss Design und Tischkultur 1950-1970_Möbelmuseum Wien © SKB_Alexander Eugen Koller

“Den modernen, ästhetischen und funktional hochwertigen Produkten für den Tisch stand ein traditionelles und konservativ geprägtes Frauenbild mit der Frau als Hausfrau und Mutter gegenüber.” (Eva. B. Ottillinger, Kuratorin)

In den Kriegsjahren waren viele Frauen auf sich allein gestellt, wurden in der Kriegsindustrie und in der Landwirtschaft als Arbeitskräfte eingesetzt und mussten jene Arbeitsplätze in allen Bereichen der Gesellschaft übernehmen, die durch die kriegsbedingte Abwesenheit der Männer nicht besetzt waren. Doch schon sehr bald nach Kriegsende, bereits in die Zeit des Wiederaufbaus und noch viel stärker in der Zeit des Wirtschaftsaufschwungs, führten die alten Wertvorstellungen wieder zur Herstellung der traditionellen Rollenverteilung in Gesellschaft und Familie und wurde die Frau wieder auf ihre Tätigkeit als Hausfrau und Mutter verwiesen.

Das durch unzählige Frauenratgeber unterstützte und vor allem von der Werbung propagierte Frauenbild der 1950er und 1960er-Jahre war das einer femininen, gepflegten, perfekten Hausfrau und Mutter. Link: Werbehighlights der 50/60er Jahre (11 min): https://www.youtube.com/watch?v=9R4wS7RzpXw

Ausstellung Möbelmuseum Wien, Schöner Essen. Werbeplakate. Foto: Elisabeth Kolbry

Das in Österreich in den 1950er und 1960er Jahren geltende Ehe- und Familienrecht stammte aus dem Jahr 1811. Konkret bedeutete dies, dass der Mann rechtlich das Oberhaupt der Familie war, die Frau den Familiennamen des Mannes annehmen musste, der gemeinsame Wohnsitz ausschließlich der des Mannes war und die Ehefrau ihren Wohnsitz nach den Bedürfnissen ihres Mannes ausrichten musste, der gesetzliche Vertreter ehelicher Kinder automatisch der Vater war, in strittigen Familienangelegenheiten und Erziehungsfragen die Entscheidung ausschließlich beim Ehemann lag, der Ehemann der Frau verbieten konnte, berufstätig zu sein, die Ehefrau zur Führung des gemeinsamen Haushaltes verpflichtet und der Ehemann gegenüber seiner Frau unterhaltspflichtig war.

Die rechtliche Situation verbesserte sich in Österreich erst Mitte der 1970er Jahre, als mit der am 1. Jänner 1976 in Kraft getretenen Familienrechtsreform die rechtliche Grundlage für einen gleichberechtige Partnerschaft geschaffen wurde. Erst seit dieser Familienrechtsreform haben Frauen das Recht, ohne Erlaubnis ihres Mannes arbeiten zu gehen und haben Väter und Mütter ihren Kindern gegenüber gleiche Rechte und Pflichten. Bis dahin durfte z.B. nur der Vater einen Passantrag für das Kind unterschreiben. Noch viel später, mit dem Eherechts-Änderungsgesetz 2000, wurde klargestellt, dass in einer Ehe, in der eine Personen nicht erwerbstätig ist, die erwerbstätige Person in ihrer Freizeit zur Mithilfe an der Haus- und Versorgungsarbeit (Kinderbetreuung) verpflichtet ist.

Ausstellung Möbelmuseum Wien, Schöner Essen. Werbeplakate. Foto: Elisabeth Kolbry

Gleichzeitig muss man bedenken, dass in den 1950er und 1960er Jahren Hausarbeit noch Schwerarbeit war, da die heute gebräuchlichen Küchengeräte und Haushaltsmaschinen erst entwickelt wurden und lange Zeit für viele nicht leistbar waren. Nach einer Umfrage des Instituts für Markt- und Meinungsforschung hatten 1956 in Wien bereits 43 % der Haushalte einen Staubsauger. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre fanden vor allem Kühlschränke und Waschmaschinen größere Verbreitung. Ende 1957 waren in Österreich rund 156.000 Kühlschränke und 108.000 Waschmaschinen in Betrieb, wobei in diesen Zahlen auch die von Hotels, Gasthäusern und Gewerbebetrieben verwendeten Geräte enthalten sind. Auch die Anzahl der Elektroherde und von Doppelkochplatten in Privathaushalten nahm in dieser Zeit stark zu – eine wesentliche Erleichterung gegenüber dem Heizen des Küchenofens mit Holz oder Kohle. Denn die Realität des Alltags einer Hausfrau waren fast täglicher Einkauf, da vor dem Vorhandensein von Kühlschränken alles frisch verarbeitet werden musste. Wobei vor und während des Kochens der Herd geheizt werden musste, was auch bedeutete, Holz oder Kohlen zu schleppen. Keine Küchenmaschinen erleichterten das Rühren und Kneten, für den Abwasch musste das Wasser erst erwärmt werden. Böden wurden mit der Bürste geschruppt, Teppiche zusammengerollt, hinausgetragen und ausgeklopft, die Wäsche händisch mit Bürste und Waschrumpel gewaschen und so weiter – das bisschen Haushalt machte sich entgegen allen Gerüchten nicht von allein, erst durch die Schwerarbeit der Frauen im Haushalt wurde die “heile Welt des trauten Heimes” überhaupt möglich.

Kochbuch-Dr.-Oetker-Einsiedehilfe-1950er-Jahre-©-Privatbesitz

Die Ausstellung im Möbelmuseum Wien ist bis 16. April 2023 zu sehen!

Adresse: Möbelmuseum Wien, Andreasgasse 7, 1070 Wien (U 3 Zieglergasse) https://www.moebelmuseumwien.at/

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10.00 – 17:00 Uhr

Begleitprogramm: Themenführungen: https://www.moebelmuseumwien.at/unser-programm/alle-termine; u.a. zum Thema “Das bisschen Haushalt macht sich von allein”: https://www.moebelmuseumwien.at/unser-programm/alle-termine/detail/das-bisschen-haushalt-macht-sich-von-allein

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