Maria Lazar

Maria Lazar

Eine literarische (Neu)Entdeckung

Maria Lazar (1895-1948) war eine der bedeutendsten deutschsprachigen Autor:innen der 1920er und 1930er Jahre in Österreich. Trotzdem hat es fast 100 Jahre gedauert, bis ihr Werk endlich die Anerkennung erfährt, die es verdient. Bis vor etwa zehn Jahren waren die Autorin und ihr Werk fast völlig vergessen. In den Werken zur Literaturgeschichte und in der einschlägigen Fachliteratur schien ihr Werk nicht auf, erwähnt wurde sie ausschließlich im Lexikon deutschsprachiger SchriftstellerInnen im Exil 1933-1945.

Einigen wenigen Wissenschaftler:innen, wie der dänischen Germanistin Birgit Nielsen, dem deutschen Literaturwissenschaftler Helmut Müssener und besonders dem Universitätsprofessor für Neue deutsche Literatur am Institut für Germanistik der Universität Wien, Johann Sonnleitner, sowie dem von Albert C. Eibl gegründeten Verlag Das vergessene Buch (DVB) ist zu verdanken, dass sich dies mittlerweile geändert hat.

Tatsache ist, dass sich die universitäre Germanistik in Wien der Literatur der Vertriebenen und im Dritten Reich ermordeten kaum oder überhaupt nicht angenommen hat, vor allem nicht, wenn es sich um Literatinnen handelte. Grund dafür mag sein, dass viele der nach 1945 an der Universität Tätigen ideologisch noch im Nationalsozialismus verwurzelt und antisemitisch eingestellt waren.

Maria Lazar wurde 1885 in Wien geboren. Sie wuchs als jüngstes von acht Kindern in einer wohlhabenden, assimilierten jüdischen Familie auf. Ihre Eltern waren bereits 1881 zum Katholizismus konvertiert. In Wien konnte sie die fortschrittliche Schule von Eugenie Schwarzwald besuchen. Dort lernte sie Helene Weigel und Alice Herdan-Zuckmayer kennen, die ihre Freundinnen blieben. Vor allem aber wurde sie von Eugenie Schwarzwald, die ihre schriftstellerischen Fähigkeiten erkannte, gefördert. Mit Eugenie Schwarzwald blieb sie freundschaftlich verbunden und verkehrte in ihrem Salon, wo sie auch Karin Michaelis kennenlernte.

Maria Lazar (c) Literaturhaus Wien / Österreichische Exilbibliothek

Nach der Matura, die sie im Jahr 1914 ablegte, studierte sie acht Semester Philosophie und Geschichte an der Universität Wien, brach das Studium aber ab, um sich ganz der Literatur und dem Journalismus widmen zu können.

Zwischendurch arbeitet sie auch als Lehrerin an den Schwarzwaldschulen in Wien und am Semmering. Im Landerziehungsheim am Semmering verfasste sie ihren ersten Roman “Die Vergiftung”, der 1920 erschien. Als scharfsichtige Beobachterin ihres Umfeldes hinterfragt sie in diesem Werk die bürgerliche Lebensform mit seiner Doppelmoral und seinen Lebenslügen, dem Streben nach Anerkennung und gesellschaftlichem Aufstieg, dem Statusdenken und starren Konventionen. Ihr in München erschienener Einakter “Der Henker” wurde 1921 an der Neuen Wiener Bühne unter der Regie von G.W. Pabst uraufgeführt.

Eugenie Schwarzwald schrieb über Maria Lazar in einem Beitrag für das Prager Tagblatt vom 27. Mai 1934 folgendes: “Sie schrieb, nicht weil sie wollte, sondern weil sie musste, nur wenn ihr etwas einfiel, und das in knappsten Worten.””Sie erzählte faszinierend. Aber was sie erzählte, war nicht geeignet, den Leuten zu gefallen.” Es war ihr “nämlich unmöglich, an den Ereignissen des Tages achtlos vorüberzugehen. So war ihre Stoffwahl nicht genehm. Da sie die Dinge überdies rein menschlich – ohne Parteizugehörigkeit behandelte, schien sie auch nirgends hinzugehören. Auch das wollten die Menschen damals nicht. Da sie noch dazu eine frau war, aber doch den Mut hatte, Dunkel und Licht zu mischen, wie das Leben selbst es tut,… so ging ihr auch jener Teil des Publikums verloren, der sich nur unterhalten will.”

Im Jahr darauf, 1922, begann sie ihre Arbeit für die angesehene Wiener Zeitung “Der Tag”, für die sie bis 1933 über 100 Beiträge verfasste. Sie arbeitete aber auch für andere Zeitungen, wie die Arbeiterzeitung.

1923 heirate sie Friedrich Strindberg und 1924 wurde ihre Tochter Judith geboren. Nach der Scheidung von Strindberg im Jahr 1927 musste sie als alleinerziehende Mutter für ihren Unterhalt sorgen. Neben ihrer Tätigkeit als Journalistin arbeitete sie als Übersetzerin aus dem Dänischen, Englischen und Französischen und übersetzte Werke von E.A. Poe, F. Scott Fitzgerald und Karin Michaelis in die deutsche Sprache.

Ende der 1920er Jahre wählte sie das Pseudonym Esther Grenen, unter dem sie in weiterer Folge ihre Werke Verlagen anbot und publizierte. Die Wahl eines Pseudonyms war nicht freiwillig, sondern ist als Reaktion auf die politischen Veränderungen zu verstehen: der Erstarkung des Nationalsozialismus mit ihren tiefgreifenden Auswirkungen auf Kunst und Kultur und den sich verstärkenden Antisemitismus.

Die Ausschaltung des Parlaments und damit Abschaffung der Demokratie in Österreich und das Ende der Weimarer Republik und die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 bedeuteten nicht nur das Ende ihrer literarischen Erfolge sondern stellten zudem eine massive Bedrohung für Maria Lazar dar. In dieser Situation bat sie Karin Michaelis um Hilfe für sich, ihre Tochter, Helene Weigel, Bert Brecht und deren Kinder. Gemeinsam gingen sie nach Dänemark, auf die Insel Thuro. Für Maria Lazar war die Emigration deswegen möglich, weil sie und ihre Tochter durch ihren ehemaligen Ehemann die schwedische Staatbürgerschaft erhalten hatte.

Unter dem Namen Esther Grenen wurden ihre nächsten Werke veröffentlicht. Der Roman “Veritas verhext die Stadt” erschien Anfang 1930 im Berliner Tageblatt und 1931 in der Wiener Illustrierten Der Kuckuck als Fortsetzungsroman und wurde 1941 von Per Lindberg verfilmt. Der Roman “Der Fall Rist” wurde 1930 im Berliner Vorwärts und 1931 in der Wiener Arbeiter-Zeitung veröffentlicht. “Der Nebel von Dybern”, ein antimilitaristisches Drama um einen Unfall in einer belgischen Giftgasfabrik , gedruckt in der Zeitung “Wiener Tag” wurde in Stettin , Kopenhagen und London aufgeführt.

In der Zeit der Emigration schreib sie Beiträge für dänische, schwedische und Schweizer Medien. Ihr Roman “Leben verboten!”, den sie noch in Wien geschrieben hatte und der den heraufkommenden Nationalsozialismus thematisiert, konnte in deutscher Sprache nicht mehr publiziert werden und erschien 1934 in gekürzter Form in London unter dem Titel “No right to live”. Ihre Lehrerin und Freundin Eugenie Schwarzwald schreibt dazu im Prager Tagblatt:” Daraus ergibt sich meine gegenwärtige merkwürdige Situation: Ich sitze mit dem Wörterbuch…bewaffnet und lese mühsam das englische Buch von Maria Lazar aus dem Schottenhof in Wien” (Anm. Der Schottenhof war ab 1902 die Wohnadresse der Familie Lazar).

Von einem weiteren Roman von Maria Lazar, “Die Eingeborenen von Maria Blut”, der die Voraussetzungen für die Entstehung des Nationalsozialismus in der österreichischen Provinz am Beispiel des fiktiven Ortes Maria Blut vor dem Hintergrund von wirtschaftlicher Unsicherheit, Herrenrassenideologie und steigendem Antisemitismus zum Inhalt hat, konnte ein Kapitel in der Exilzeitschrift Das Wort abgedruckt werden. Der ganze Roman wurde erst 1958 auf betreiben ihrer Schwester Auguste, die selbst eine berühmte Kinderbuchautorin und eine der Begründerinnen der sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland war, gedruckt.

Die Flucht von Maria Lazar war aber noch nicht zu Ende. Aufgrund des Vormarsches der deutschen Truppen ging sie 1939 nach Schweden, wo sie in Stockholm ein wichtiger Teil der Emigrant:innenszene wurde. 1943 schrieb sie die Satire “Das deutsche Janusgesicht”, in der sie Texte deutscher Dichter und Philosophen jenen von Nationalsozialisten gegenüberstellte.

Nach 1945 kam eine Rückkehr nach Wien nicht nur aus gesundheitlichen Gründen nicht in Frage. “Ich sehe in den Straße meiner Vaterstadt, die Toten die man mir ermordet hat” schrieb sie in ihrem Gedicht “Die schöne Stadt”. Zwei Ihrer Schwersten, Louise und Elisabeth, waren von den Nationalsozialisten im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet worden.

Aufgrund einer unheilbaren Erkrankung unterzog sie sich nach dem Krieg einer langwierigen Behandlung in London, wo sie von ihrer Schwester Auguste unterstützt wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Stockholm nahm sie sich 1948 das Leben.

Zuvor hatte sie ihren Nachlass vorgeordnet. Zwei Metallkisten mit den Schriften wurden von ihrer Tochter aufbewahrt, durften aber nicht geöffnet werden. Erst nach deren Tod lud Kathleen Dunmore, die Enkelin Maria Lazars, den Verleger Albert C. Eibl ein, mit ihr gemeinsam die Kisten zu öffnen – wie sich herausstellte, literarische Schatzkisten mit noch unbekannten Werken. Dieser Nachlass wurden von Kathleen Dunmore und ihrem Bruder Jim Dunmore dem Literaturhaus Wien übergeben, wo er untersucht und aufbereitet wird. Ihre bisher unveröffentlichten Werke sollen im Verlag Das vergessene Buch erscheinen.

Zum Abschluss noch die Anfangszeilen des Gedichts von Maria Lazar “An meinen unbekannten Leser”:

Ich kenne dich nicht und ich werde dich nie kennen lernen.
Aber in fernen
verregneten Tagen
liegt mein Buch vor dir aufgeschlagen.
(Zitiert nach Maria Lazar, Viermal Ich. DVB Verlag, Wien 2023)

Links:

Verlag Das vergessene Buch https://dvb-verlag.at/

Theater Hamakom https://www.hamakom.at/nebelvondybern

Zum Weiterlesen: Die Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald https://www.diespurensucherin.at/eugenie-schwarzwald/

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