Realistische Malerei

Realistische Malerei

Neue Sichtweisen

Mit der derzeit im Oberen Belvedere laufenden Ausstellung “Lebensnah. Realistische Malerei von 1850-1950” wird die Veränderung der Sichtweise bei der Betrachtung und Wiedergabe des Lebensumfeldes und der Natur durch die Maler:innen und die Erweiterung der von ihnen dargestellten Themen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts veranschaulicht.

Aufgegriffen wurde der Begriff Realismus für die Malerei um 1855 durch den französischen Maler Gustave Courbet, der für seine Gemälde eine lebensnahe und nüchterne Darstellungsweise wählte und dessen Werke richtungsweisend für die Entwicklung dieser Kunstrichtung in Europa und den Vereinigten Staaten waren.

Für die Künstler:innen dieser Kunstrichtung stand die Beschäftigung mit der Wirklichkeit im Mittelpunkt. Im Gegensatz zum Naturalismus, der eine detailgetreue Wiedergabe anstrebte, wollten die Künstler:innen des Realismus tiefer liegende Wahrheiten zeigen. Nach Franz Smola, Kurator der Ausstellung, wurde “diese Stilrichtung oft als Spiegel des Alltags und der sozialen Umwelt eingesetzt” und vermittelt dadurch unmittelbare Einblicke in damalige Lebenswelten, so wie sie von den Künstler:innen wahrgenommen wurden. Kuratorin Kerstin Jesse weist zudem darauf hin, dass das Einfache, Banale oder scheinbar Unscheinbare im Realismus darstellungswürdig wurde.

Gleichzeitig stieg das Interesse an sozialen und politischen Themen. Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, die Lebenssituation der Menschen, die sich Arbeit in der Landwirtschaft, im Handwerk und die Industrialisierung und ihre Auswirkungen wurden Thema der Malerei. Gleichzeitig zeigt sich in der Malerei dieser Epoche auch der Einfluss der damals neuen Medien der Fotografie und ab etwa 1900 auch des Films.

In der Ausstellung werden 85 Werke aus der Sammlung des Belvedere von bekannten Künstler:innen wie Gustave Courbet, Vincent van Gogh, Gustav Klimt, Ferdinand Georg Waldmüller, Emil Jakob Schindler, Wilhelm Leibl, Johann Baptist Reiter, Friedl Dicker-Brandeis und von heute weniger bekannten Vertreter:innen dieser Kunstrichtung gezeigt. Die aus verschieden Epochen und Stilrichtungen stammenden Werke wurden von den Kurator:innen in 8 Themenbereiche gegliedert, die sowohl die Vielfalt als auch die Erweiterung des Spektrums des Dargestellten verdeutlichen.

In “Gesichter der Gesellschaft” wird gezeigt, dass sich der Blick nun nicht mehr auf Herrscher:innen, Repräsentanten und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens richtet, sondern auf die gesamte Gesellschaft. Zwei sehr unterschiedliche Beispiele dafür sind das Bild von Karl Karger, Ankunft eines Zuges am Nordwestbahnhof (1875), in denen Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten gezeigt werden, und das großformatige Bild “Der Zwerg” von Elena Luksch-Makovsky aus dem Jahr 1900. Der Themenkomplex “Das echte Leben” widmet sich familiären Festen, aber auch der Kinderarbeit. Ein Beispiel dafür ist Gemälde von Anton Filkuka, Holzsammelnde Kinder (1925).

Anton Filkuka, Holzsammelnde Kinder, 1925 Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

“Die Welt erfassen” bedeutet im Realismus sowohl einen veränderten Blick auf die Umwelt, d.h. auch die Berücksichtigung von bisher als nicht darstellenswert erachteten Bereichen des Lebensumfeldes, wie einer Sägemühle im Morgennebel von Emil Jakob Schindler (1886), eines Weges im Steinbruch, gemalt von Eugen Jettel um 1905, eines durch seinen besonderen Bildausschnitt ganz besonderen Blickes auf die Moldau von Friedl Dicker-Brandeis ( um 1936) oder eines Hofes zwischen Großstadthäusern von Erich Miller-Hauenfels (1934).

Erich Miller-Hauenfels, Hof zwischen Großstadthäusern, 1934 Belvedere, Wien

Der Themenbereich “Der Blick nach innen. Rückzug und Reflexion”, zeigt uns Lesende und führt uns an Rückzugsorte wie Bibliothekszimmer, eine Landschaft im Herbst (Olga Michaeli, Herbstsonne am Attersee, 1917) oder einen Klosterhof im Winter von Karl Georg Adolph Hasenpflug (1854).

Karl Georg Adolph Hasenpflug, Blick auf den Klosterhof im Winter, 1854 Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Im Gegensatz dazu steht die Beschäftigung mit sozialen Themen und der Veränderung der Arbeitswelt durch die Industrialisierung. Diese wird im Themenkomplex “Arbeitswelten” am Beispiel von Bildern von Werkstätten und Darstellungen der Industriewelt gezeigt, wie Das Innere einer Schmiede von Franz Eybl aus dem Jahr 1847, dem Kohlenbahnhof der Nordbahn in Wien, von Franz Hohenberger um 1908 gemalt, oder dem Porträt eines Gasarbeiters von Oskar Lautischer aus dem Jahr 1948.

Es wesentliches Verdienst dieser Ausstellung ist, dass sie “Die unsichtbare Arbeit” von Mägden und Knechten in der Landwirtschaft und von DienstbotInnen und Kindermädchen in bürgerlichen Haushalten zum Thema macht und ihr einen eigenen Themenkomplex gewidmet hat. Bilder mit Marktszenen, von der Arbeit im Bauernhof, der Heimkehr von der Arbeit (Ferdinand Georg Waldmüller,1861) und Die letzte Tagesmühe (Leopold Carl Miller, 1871) verdeutlichen diesen Bereich der Arbeitswelt.

Die “Dinge des Lebens” zeigt die Bedeutung des Stilllebens in der realistischen Malerei, das alltägliche Dinge, wie Pflanzen, Gläser, Möbel, Textilien und Schmuck in den Mittelpunkt rückt.

Herbert Ploberger, Stillleben, 1926 Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien

Den Abschluss der Ausstellung bildet der Themenbereich “Wie für die große Leinwand”, in dem emotionale Inhalte und dramatische Szenen in Gemälden dargestellt werden. Die Bildinhalte erzählen beispielweise von Krankenbesuchen, dem märchenhaften Orient, einem Wettrennen mit Pferdefuhrwerken, dem Abschied der Braut vom Elternhause (Ferdinand Georg Waldmüller,1860). Am Ende der Ausstellung findet sich auch ein Bild von Gustave Courbet, Der Verwundete (um 1866).

Die Ausstellung “Lebensnah. Realistische Malerei von 1850-1950” ist im Oberen Belvedere bis 1. November 2022 zu sehen!

Adresse: Oberes Belvedere Prinz Eugen-Straße 27, 1030 Wien https://www.belvedere.at/besuch/oberes-belvedere

Öffnungszeiten: Täglich 10.00-18:00 Uhr

Links:

Lebensnah. Realistische Malerei von 1850 bis 1950:

1: Wilhelm Trübner, Caesar am Rubicon. Der Hund des Künstlers, um 1878 (4:13 min) https://www.youtube.com/watch?v=DaxEFYv3dA4 (4:13 min)

2: Alois Hänisch, Helianthus, Verwelkte Sonnenbumen, 1926 (3:09 Min) https://www.youtube.com/watch?v=0Hg4t_kEonk

3: Olga Micheli, Herbstsonne am Attersee, vor 1917 (3:16 min) https://www.youtube.com/watch?v=vA6fj3SO8s4

Karl Karger, Ankunft eines Zuges am Nordwestbahnhof in Wien (1875) https://www.youtube.com/watch?v=N0ZUl-e9Tg8

Kommentare sind geschlossen.