Virginia Woolf

Virginia Woolf

Ein Zimmer für sich allein

Als die englische Schriftstellerin Virginia Woolf im Jahr 1929 ihren Essay “Ein Zimmer für sich allein” (A Room of One´s Own) veröffentlichte, in dem sie auf die schwierigen gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Bedingungen eingeht, unter denen Frauen Literatur schaffen mussten, ist sie sicher davon ausgegangen, dass etwa hundert Jahre später die Situation der Frauen sich zum Besseren verändert hat und die Diskussion über die materielle Absicherung als Vorbedingung für die Eigenständigkeit der Frauen kein Thema mehr sein wird.

Virgina Woolf wurde als Virgina Stephen 1882 in London geboren. Sie entstammte einer wohlhabenden bürgerlichen Familie, die damals der intellektuellen Elite des Landes angehörte. Bereits als Kind erhielt sie Hausunterricht und konnte so die englischen Klassiker und die englische Literatur des 19. Jahrhunderts kennen lernen. Von 1897 bis1901 besuchte sie das “Ladies Department” am King´s College in London, wo sie Sprach- und Literaturwissenschaft des klassischen Altertums und Philosophie studierte. Ermutigt durch ihren Vater begann sie schon während ihres Studiums zu schreiben. Ebenfalls während ihres Studiums kam sie auch in Kontakt mit der Frauenbewegung, die damals in England für das Frauenwahlrecht kämpfte.

Virginia Woolf, 1902. Foto: George Charles Beresford/Wikimedia Commons

Nach dem Tod ihres Vaters übersiedelten sie und ihre Geschwister in den Londoner Stadtteil Bloomsbury. Dort führten sie auf Anregung ihres Bruders einen Salon, aus dem sich der künstlerische und literarische Bloomsbury-Kreis entwickelte, dem sie angehörte. In diesem Kreis lernte sie auch Leonhard Woolf kennen, den sie 1912 heiratete. 1915 veröffentlichte sie ihren ersten Roman The Voyage Out (Die Fahrt hinaus). Es folgen 1919 der Roman Night and Day (Tag und Nacht) und 1922 Jacob´s Room (Jakobs Zimmer). Ihre bekanntesten Werke sind die Romane Mrs. Dalloway (1925), To the Lighthouse (Zum Leuchtturm,1927), Orlando (1928), The Waves (Die Wellen, 1931), The Years (Die Jahre, 1937) und Between the Acts (Zwischen den Akten, 1941).

Virginia Woolf war eine der bedeutendsten Autorinnen der klassischen Moderne und bereits zu ihrer Zeit in Großbritannien und Nordamerika eine anerkannte Schriftstellerin, die neben Romanen, Essays, Erzählungen, Artikel für Zeitschriften und Zeitungen und ein Theaterstück verfasste. Zudem war sie als Verlegerin tätig. Gemeinsam mit ihrem Mann, Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag “Hogarth Press”, in dem sie die Lektorin und für die Gewinnung neuer AutorInnen zuständig war. Hogarth Press entwickelte sich zum bedeutendsten englischen Verlag für russische Schriftsteller wie Anton Tschechow, Maxim Gorki, Lew Tolstoi, verlegte die Werke von Sigmund Freud, Rainer Maria Rilkes und Gertrud Stein, neue englische AutorInnen wie T.S. Eliot und Katherine Mansfield, die Schriften des Ökonomen John Maynard Keynes und selbstverständlich die Werke von Virginia Woolf. Sie lebten in London, wo auch der Sitz des Verlages war, und ab 1919 im sog. “Monk´s House” in Rodmell, Sussex. Zeit ihres Lebens hatte Virginia Woolf immer wieder schwere Depressionen, die letztlich dazu führten, dass sie 1941 freiwillig aus dem Leben schied.

Monk`s House, Rodmell, Sussex.
Foto: Oliver Mallinson Lewis, Oxford/UK https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en

Doch zurück zu ihrem Essay “Ein Zimmer für sich allein”. Diese Abhandlung basiert auf zwei Vorträgen zum Thema Frauen und Literatur”, die sie 1928 am Newnham College und Girton College an der Universität Cambridge gehalten hatte. In der Folge hat sie diese Vorträge zu einem längeren Essay erweitert und 1929 als Buch mit sechs Kapiteln veröffentlicht und damit eine erste kritische Analyse der Geschichte der Schriftstellerinnen vorgelegt. Der Titel leitet sich von der zentralen Idee Virginia Woolfs ab, dass eine Frau, die Literatur schreiben will, finanzielle Unabhängigkeit und einen Raum braucht, wo sie ungestört denken und schreiben kann. Diesen Standpunkt begründet sie in den sechs Kapiteln des Essays.

In Kapitel 1 zeigt sie am Beispiel der fiktiven Universität “Oxbridge” die Ausschließung von Frauen aus der Universität und den verweigerten Zutritt zur Bibliothek den Ausschluss von Bildung und Wissen. Kapitel 2 zeigt anhand eines Besuches in der British Library in London die Abwesenheit von Frauen als Autorinnen der Geschichte und Literatur. Vor allem aber, dass Männer aufgrund ihres gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrunds Wissenschaft und Literatur dazu nützen, ihre eigene Überlegenheit und die Minderwertigkeit der Frauen zu beweisen. In Kapitel 3 geht sie der Frage nach, warum Frauen im Vergleich zu Männern so arm sind und welche Auswirkungen dies auf das literarische Schaffen hat. Beim Versuch einer historischen Aufarbeitung dieser Frage anhand des Elisabethanischen Zeitalters (1558-1603) muss sie feststellen, dass die Geschichtsschreibung Frauen systematisch aus der Geschichte ausgeklammert hat. In diesem Zusammenhang stellt und beantwortet die Frage, was gewesen wäre, hätte William Shakespeare eine Schwester gehabt. Anhand dieses fiktiven Beispiels und zeigt sie, dass es Frauen zu Shakespeares Zeit unmöglich war, literarisch tätig zu werden, da sie weder die Bildung, die finanziellen Möglichkeiten noch die sozialen Vorteile von Männern hatten. In Kapitel 4 verweist die Autorin auf das allmähliche erscheinen von Schriftstellerinnen ab der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zum 19. Jahrhundert und auf deren Schwierigkeiten, ernst genommen zu werden, ihr verstecken müssen hinter männlichen Pseudonymen. In Kapitel 5 befasst sie sich mit dem frühen 20. Jahrhundert, mit der Veränderung der Rolle der Frauen in der Gesellschaft und Literatur. Sie zeigt, dass Frauen nun nicht mehr nur in Beziehung zum Mann gesehen werden, sondern Interessen außerhalb ihrer eigenen vier Wände haben und zunehmend damit beginnen, über fast alle Themen zu schreiben. In Kapitel 6 verweist sie abschließend auf zwei wesentliche Punkte: erstens, dass intellektuelle Freiheit abhängig ist von materiellen Grundlagen und jedes Schreiben von intellektueller Freiheit abhängt. Das “eigene Zimmer” ist in diesem Zusammenhang als Symbol für finanzielle Unabhängigkeit und Privatsphäre als Voraussetzung für den künstlerischen Schaffensprozess zu verstehen. Da Bücher Wirkung haben, fordert sie die Leserinnen auf, alle Arten von Büchern zu schreiben und so ihren Einfluss geltend zu machen.

Virginia Woolf geht davon aus, dass geistige Freiheit von den Lebensumständen abhängig ist. Es war daher kein Zufall, dass diese Abhandlung einer der meistgelesen Texte der neuen Frauenbewegung in den 1960er- und 1970er Jahren war. In einem weiteren Essay, Drei Guineen (Three Guineas), der 10 Jahre später erschien, im Jahr 1938 erschien, beschäftigte sie sich sehr kritisch mit der patriarchalischen Gesellschaft, der Förderung der Ausbildung und der Berufstätigkeit der Frauen sowie mit der Kriegsgefahr. Es sind Texte, die durch die Befassung mit der Geschichte der Frauen und die Beschreibung ihrer Lebenssituation eine Verbindung zu unserer heutigen Zeit und den nach wie vor bestehenden Problemen ermöglichen. Beide Essays gehören heute zu den “Klassikern” der Frauenbewegung.

Virginia Woolf. Straßenkunst in Sao Paulo. Fotograf: Brocco, Madrid, Spain. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

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