Jedermann?

Jedermann?

Jedermanns Juden

Anlässlich des 100 -Jahr-Jubiläums der Salzburger Festspiele wurde vom Jüdischen Museum Wien in Kooperation mit den Salzburger Festspielen die Ausstellung “Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele” gestaltet.

In diesem Beitrag möchte ich auf die Geschichte der Salzburger Festspiele bis 1945 eingehen. Die Vorgeschichte der Salzburger Festspiele, die heute eines der bedeutendsten Festivals für Oper, Schauspiel und Konzert sind, reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Zuge der napoleonischen Kriege verloren die Fürsterzbischöfe von Salzburg 1803 ihre weltliche Macht über das Land; 1816 wurde Salzburg durch den Vertrag von München Teil des österreichischen Kaiserreichs. In den Jahrzehnten darauf verloren sowohl das Land als auch die Stadt ihre große regionale und kulturelle Bedeutung. Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts haben 1860 die Eröffnung der “Kaiserin Elisabeth Westbahn”, der Westbahnstrecke zwischen Wien und Salzburg, die Gründung der Salzburger Stiftung Mozarteum 1870 und die Veranstaltung eines Mozartfestivals dazu beigetragen, sowohl die kulturelle Bedeutung der Stadt wieder zu heben als auch den Tourismus zu beleben.

Erst 1917, noch während des Ersten Weltkriegs, wurde der Verein Salzburger Festspielhausgemeinde gegründet. Sein Ziel war die Errichtung eines Festspielhauses in Salzburg. Dem Kuratorium gehörten unter anderem der Komponist, Richard Strauss, der Theaterproduzent und Regisseur Max Reinhardt und der Dichter Hugo von Hoffmannsthal an. Grundidee der Salzburger Festspiele war die “Förderung der Annäherung der Völker durch die versöhnende und bezwingende Macht der Kunst nach dem Krieg.”

Aufgrund der Armut nach dem Ersten Weltkrieg war man in Salzburg gegen die Veranstaltung von Festspielen. Die Regierung musste zur Unterstützung der Umsetzung sogar zusätzliche Lebensmittellieferungen für die Bevölkerung bereitstellen.

Am 22. August 1920 begann die Geschichte der Festspiele mit der erstmaligen Aufführung des “Jedermann” in der Bearbeitung von Hugo von Hoffmannsthal und unter der Regie von Max Reinhardt auf dem Domplatz. Als Beitrag zur Linderung der Not der Salzburger Bevölkerung in der Nachkriegszeit verzichteten Schauspieler/innen, Regisseur und Autor auf ihre Honorare; der Reinerlös der Aufführungen wurde für caritative Zwecke gespendet.

Das von Max Reinhardt geprägte Motto “Die ganze Stadt ist Bühne” gilt bis heute.

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Von Anfang an begleitet wurden die Festspiele von christlichsozialem Antisemitismus und später von der erstarkenden nationalsozialistischen Bewegung. In antisemitischen Blättern wurde besonders deswegen gegen Max Reinhardt gehetzt, weil er katholische Themen aufgriff. So durften beispielsweise ab 1922 bei der Aufführung des Jedermann die Kirchenglocken und die Domorgel nicht mehr zum Einsatz kommen. Auch die Aufführung des Theaterstücks “Das große Salzburger Welttheater”, das so wie der “Jedermann” ebenfalls von Hugo von Hoffmannsthal vor dem Hintergrund eines katholischen Erlösungsgedankens geschrieben worden war, sorgte für einen Skandal, da Reinhardt die Entweihung eines Sakralraums vorgeworfen wurde. Positiv ist in diesem Zusammenhang der Einsatz des damaligen christlichsozialen Landeshauptmanns Franz Rehrl, der gegen diesen Antisemitismus angekämpft hat, zu erwähnen.

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Nach schwierigen Anfangsjahren begann sich das Festival zu etablieren. Bereits 1922 dirigierte Richard Strauss die ersten Opernaufführungen der Salzburger Festspiele. Durch den Umbau der Große Winterreitschule (Kleines Festspielhaus) in den Jahren 1925-1927 wurden professionelle Aufführungsbedingungen geschaffen. Max Reinhardt setzte als Regisseur neue künstlerische Maßstäbe im Bereich der Lichtregie, des Rundhorizonts und der Verbindung von Theater, Musik und Tanz. Dadurch, dass er nicht nur ein visionärer Regisseur, sondern auch ein großartiger Organisator und meisterhaft im Marketing war, gewannen die Festspiele sehr bald internationales Ansehen. Die Wiener Philharmoniker mit ihrem Konzertmeister Arnold Rosé war jährlich zu Gast. Mit Bruno Walter konnte ein Dirigent von Weltrang gewonnen werden. Die Opernsänger/innen Lotte Lehmann, Rosette Anday, Claire Born, Elisabeth Schuhmann, Richard Tauber traten ebenso auf wie die Schauspielstars Alexander Moissi, Helene, Hermann und Hans Thimig. Im Bereich des Balletts brillierte die Choreographin Margarethe Wallmann mit ihren Inszenierungen, Tilly Losch führte ihren Tanz der Hände auf. Ihre Blütezeit hatten die Festspiele in den Jahren 1926 bis 1933. Ein Erfolg, an dem jüdische Künstler/innen bis 1938 wesentlich beteiligt waren.

Durch das Engagement der besten österreichischen und internationalen Künstler/innen, Dirigenten und Regisseure konnte verstärkt ein österreichisches und internationales Publikum angesprochen werden. Damit erlebte auch der Tourismus in Salzburg und die Sommerfrische im Salzkammergut in dieser Zeit einen großen Aufschwung. Doch auch im Tourismus war der Judenhass von Anfang an sichtbar. Im Flachgau wurde in den 1920er Jahren von den meisten Gemeinden eine “judenreine” Sommerfrische beworben. Im Jahr 1938 übernahm Salzburg dann die Vorreiterrolle in der Umsetzung des strengen Trachtenverbotes für Juden und Jüdinnen. In diesem Zusammenhang darf ich auf meinen Beitrag “Sommerfrische. Idealbild und Realität” hinweisen: https://www.diequerdenkerin.at/?s=Sommerfrische .

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Bereits Anfang der 1930er Jahre wurden die Festspiele durch die Weltwirtschaftskrise, die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland und die Errichtung des klerikal-faschistischen Ständestaates unter Bundeskanzler Dollfuß in Österreich im Jahr 1934 überschattet. 1933 wurde die Eröffnung der Festspiele am Residenzplatz durch den Abwurf von nationalsozialistischem Propagandamaterial aus deutschen Flugzeugen gestört. 1934 wurden Anschläge auf das Festspielhaus und das Schloss Leopoldskron (damals im Besitz von Max Reinhardt) und ein Hotel verübt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde deutschen Künstler/innen nahegelegt, bei den Salzburger Festspielen nicht mehr aufzutreten. Gleichzeitig waren andere dazu gezwungen, nach Österreich zu flüchten und erhofften sich hier eine Möglichkeit, in ihrer Muttersprache weiterarbeiten zu können. Durch die gegen die Salzburger Festspiele gerichtete Einführung der 1000-Mark Sperre für Deutsche (d.h. diese mussten 1000 Mark hinterlegen, wenn sie nach Österreich einreisen wollten) wurde dem Festival Schaden zugefügt.

Trotzdem konnten die Festspiele noch bis 1937 weitergeführt werden. In den Jahren 1934-1937 war der Dirigent Arturo Toscanini, ein bekennender Gegner des Nationalsozialismus, Star der Festspiele.

Bereits vor, spätestens aber nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich im März 1938 mussten die an den Festspielen beteiligten Juden und Jüdinnen das Land verlassen, um der Verfolgung und Ermordung zu entgehen, oder wurden verhaftet. In Salzburg selbst kam es zu schwersten Ausschreitungen gegen jene Juden und Jüdinnen, die noch in der Stadt geblieben waren und zur Zerstörung der Synagoge. Das Schloss Leopoldskron, dessen Besitzer Max Reinhardt aus Amerika nicht mehr zurückkommen konnte, wurde arisiert. Am 30. April 1938 fand am Residenzplatz die einzige Bücherverbrennung in Österreich statt. Gleichzeitig erfolgte die Gleichschaltung im Sinne der nationalsozialistische Ideologie. Reichpropagandaminister Goebbels übernahm nun die ‘inhaltliche Ausgestaltung’ jener Institution, die er jahrelang bekämpft hatte, die Festspiele erhielten eine zunehmend volkstümliche Ausrichtung; gespielt wurde in den Kriegsjahren bis 1943 vor allem vor Wehrmachtssoldaten und Arbeiter/innen aus den Munitionsfabriken.

Mit dem Vorrücken der Alliierten kamen im Mai 1945 die amerikanischen Truppen nach Salzburg. Die Information Service Branch der United States Forces errichtete zur Koordinierung des kulturellen Wiederaufbaus in Salzburg ihre Zentrale. Noch im Frühjahr wird entschieden, die Festspiele im Sommer 1945 wieder zu veranstalten. Neben den Versorgungsengpässen, bestand auch die Schwierigkeit bei den Rollenbesetzungen, da viele Künstler/innen politisch belastet waren. Im Jahr 1946 wirkte Ernst Lothar, ehemaliger Direktor des Theaters in der Josefstadt und nunmehr Theater&Music Officer des Information Service Branche maßgeblich an der Erstellung des Programms für die Salzburger Festspiele und der Überprüfung der Mitwirkenden mit. Da angestrebt wurde, die Festspiele wieder auf höchstem künstlerischen Niveau durchzuführen, wurden durch ihre Tätigkeit während des nationalsozialistischen Regimes belastete Künstler/innen wie die Dirigenten Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm und Herbert von Karajan oder die Schauspieler/innen Clemens Krauss, Attila Hörbiger und Paula Wessely allerdings nach einem kurzfristigen Auftrittsverbot wieder engagiert.

Die Ausstellung “Jedermanns Juden” ist eine Rückschau auf 100 Jahre Salzburger Festspiele und der jüdischen Teilhabe daran und zeigt anhand einer Vielzahl von Objekten und Kunstwerken den Aufstieg der Festspiele bis heute, Lebenswege von verschiedenen handelnden Personen, ihre Karrieren und Fluchtwege.

Katalog: Zur Ausstellung ist ein sehr interessanter Katalog erschienen: Marcus g. Patka/Sabine Fellner (Hg.), Jedermanns Juden. 100 Jahre Salzburger Festspiele. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2021

Die Ausstellung ist bis 21. November 2021 im Jüdischen Museum (Dorotheergasse) zu sehen!

Adresse: Jüdisches Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien www.jmw.at

Öffnungszeiten: Sonntag – Freitag: 10:00-18:00 Uhr

Dokumentation: Die Künstler, die Antisemiten und die Salzburger Festspiele (43 min) https://tvthek.orf.at/history/Religion-und-Kultur/6932907/Die-Kuenstler-die-Antisemiten-und-die-Salzburger-Festspiele/14088127

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