Gabriele Münter

Gabriele Münter

Ein selbstbestimmtes Künstlerinnenleben

Gabriele Münter (1877-1962) wird rund 60 Jahre nach ihrem Tod erstmals in Österreich mit einer Retrospektive vorgestellt. Lange hat es gedauert, bis das Werk dieser Ausnahmekünstlerin die Anerkennung erfahren hat, die es verdient und der zentrale Beitrag, den Gabriele Münter für die Kunst des 20. Jahrhunderts geleistet hat, gewürdigt wird.

Bisher wurde sie meist als Schülerin von Wassily Kandinskys wahrgenommen, was zwar richtig ist, da sie ab 1902 seine Schülerin in der Malschule der von 1901 bis 1904 bestehenden Künstlergruppe Phalanx in München gewesen ist, aber für die Bedeutung ihres lebenslangen vielfältigen Schaffens viel zu kurz greift. Erst vierzig Jahre nach ihrem Tod wurde damit begonnen, sie in Biografien und Ausstellungen als eigenständige Künstlerin wahrzunehmen. Sie selbst hat das bereits im Jahr 1926 so formuliert: “Dass eine Frau ein ursprüngliches, echtes Talent haben, ein schöpferischer Mensch sein kann, das wird gerne übersehen.”

Mehr als 130 Werke, angefangen mit ihren frühen Fotografien, über Gemälde, Hinterglasbilder, Zeichnungen und Druckgrafik aus verschiedenen Schaffensphasen zeigen eindrucksvoll ihre Bedeutung als Avantgardekünstlerin und Wegbereiterin der Moderne, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Kunst geleistet hat.

Es war aber nicht nur ein außergewöhnliches Künstlerinnenleben, sondern für die Zeit um die Jahrhundertwende und die Zwischenkriegszeit auch ein unangepasstes, selbstständiges Leben einer Frau, die sich den Zwängen ihrer Zeit trotz aller Hindernisse entzogen hat.

Wassily Kandinsky, Gabriele Münter auf der Vils-Brücke, Kallmünz, 1903 © Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München | Foto: Gabriele Münter- und Johannes Eichner Stiftung, München

Sie wurde 1877 in Berlin als jüngstes von vier Kindern in eine wohlhabende Familie geboren. Nach der Übersiedlung der Familie wuchs sie in Herford in Westfalen und danach in Konstanz auf, wo sie ihre Schulzeit verbrachte und bis 1898 wohnhaft war. Bereits früh verlor sie ihren Vater; sie war erst neun Jahre alt als er starb. Schon als Kind hatte sie zu zeichnen begonnen; sie selbst sagte von sich, dass ihre frühe Neigung zum Zeichnen ganz aus ihr selbst kam. 1897 erhielt sie die Zustimmung ihrer Mutter, nach Düsseldorf zu gehen, um sich dort künstlerisch weiterzubilden.

Da Frauen damals im Deutschen Reich nicht an den Akademien zugelassen waren, waren sie darauf angewiesen, ihre Studien entweder bei Malern oder in Malschulen als Privatschülerinnen zu absolvieren. Gabriele Münter begann ihr Studium als Privatschülerin bei Ernst Bosch, der Porträt- und Genremaler war, und später beim Porträt- und Historienmaler Willy Spatz. Der an den sehr strengen akademischen Regeln ausgerichtete Unterricht wurde von ihr aber in beiden Fällen nicht als förderlich für ihre künstlerische Entwicklung empfunden.

Neben der Unzufriedenheit mit ihrer Ausbildung war der Tod der Mutter im Jahr 1897 ein wesentlicher Einschnitt in ihrem Leben. Als sie 1898 durch ihre Tante eine Einladung in die USA erhielt, fuhr sie gemeinsam mit ihrer Schwester nach Amerika, wo sie die nächsten beiden Jahre eine Reise durch das Land von New York über Arkansas, Missouri bis nach Texas zu ihrer weitverstreuten amerikanischen Verwandtschaft machten. Für die damalige Zeit war diese Reise zweier alleinreisender Frauen mehr als außergewöhnlich. Besonders bedeutend aber ist, dass Gabriele Münter zu ihrem Geburtstag eine Kamera geschenkt bekam, mit der sie ihren Aufenthalt in über 400 Fotos dokumentierte. Eine kleine Auswahl dieser Fotos ist in der Ausstellung zu sehen. Die Fotografie sollte ein wichtiger Teil ihres Lebens bleiben.

Gabriele Münter, Bildnis einer jungen Dame mit großem Hut (Polin), 1909 © Privatsammlung. Dauerleihgabe in The Courtauld, London | Foto: Private Collection. On long-term loan to The Courtauld, London/Bridgeman Images © Bildrecht, Wien 2023

Nach ihrer Rückkehr aus den USA nahm sie ihr Studium wieder auf und ging dafür in die Kunstmetropole München, die damals neben Paris Zentrum der Avantgarde war. Sie besuchte die Schule des Künstlerinnen-Vereins, danach die Schule der gleichnamigen Künstlervereinigung Phalanx, lernte bei Wilhelm Hüsgen Bildhauerei und Freilichtmalerei bei Wassily Kandinsky.

Kandinsky lebte seit 1896 mit seiner Frau in München. Nachdem sich die Beziehung zwischen ihm und Münter vertiefte, ein Zusammenleben in München aber nicht in Frage kam, solange er nicht geschieden war (die Scheidung erfolgte erst 1911), sie sich jedoch verlobt hatten und zusammen sein wollten, unternahmen sie ab 1904 gemeinsam ausgedehnte Reisen, die sie bis 1908 nach Holland, Tunesien, an die italienische Riviera und nach Frankreich führen sollten. In Frankreich, wo sie mehr als ein Jahr verbrachten, nutzte Gabriele Münter die Zeit für eine Weiterbildung im Bereich der Druckgrafik und die Anfertigung von Farblinolschnitten. Gleichzeitig hatte sie die Gelegenheit, in Paris Kunstausstellungen besuchen, Avantgardekünstler kennenzulernen und auch selbst auszustellen.

Nach ihrer Rückkehr kamen sie im Sommer 1908 erstmals nach Murnau am Staffelsee in Bayern zum Malen. Gabriele Münter erwarb im Jahr darauf ein Haus in diesem Ort, das ihr und Kandinsky als Sommerwohnsitz diente und durch ihre vielfältigen Kontakte zur Kunstszene auch zu einem Treffpunkt von KünstlerInnen werden sollte.

Gabriele Münter, Früchte und Blumen, 1909 © Albertina, Wien – Sammlung Batliner | Foto: Albertina, Wien – Sammlung Batliner © Bildrecht, Wien 2023

1909 gehörte sie gemeinsam mit Wassily Kandinsky, Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin, Erma Bossi, Alfred Kubin und anderen zu den MitbegründerInnen der Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.). Dieser Zusammenschluss expressionistischer KünstlerInnen hatte von Anfang an in seiner Ausstellungstätigkeit sowohl im Hinblick auf die präsentierten Werke als auch auf die Ausstellungsorte eine überregionale Ausrichtung. Die Werke wurden nicht nur in München, sondern durch die Kontakte nach Russland auch in St. Petersburg, Odessa, Riga und Moskau gezeigt. In der Bewerbung der Künstlervereinigung spielte Gabriele Münter eine wichtige Rolle.

Nachdem ein Werk Kandinskys von der Künstlervereinigung als zu abstrakt abgelehnt worden war, trat eine Gruppe um Kandinsky 1911 aus der NKVM aus. Danach begann das Projekt des Blauen Reiters, das sowohl Ausstellungstätigkeit als auch die Herausgabe eines Almanachs umfasste. Gabriele Münter hat das Projekt maßgeblich mitgestaltet, war in den Ausstellungen des Blauen Reiter mit ihren Werken prominent vertreten und an der Erstellung des Almanachs beteiligt. Durch ihre Fotodokumentationen hat sie zudem der Kunstgeschichte einzigartiges Bildmaterial hinterlassen.

Gleichzeitig hat sie ihre eigene künstlerische Entwicklung verfolgt und auf der Grundlage ihrer umfassenden Ausbildung und Kenntnisse der Kunstentwicklungen ihren eigenen Stil, der geprägt war von einer großen Freiheit des Ausdrucks, weiterentwickelt. Ein Aspekt, der sich in ihrem Schaffen immer wieder zeigt, ist die Neugierde auf Neues, neue Techniken, Stile und Inhalte. Ein Beispiel dafür ist die Hinterglasmalerei, die sie in Murnau erlernte. Durch ihre Beschäftigung mit und ihr Verständnis für Volkskunst und der malerischen Ausdrucksweise von Kindern hat sie eine eigenständige Sonderform der Kunstrichtung des Fauvismus geschaffen.

In ihrer Arbeit war sie Perfektionistin. Nach eigenen Angaben machte sie für ihre Werke Vorskizzen und malte ein Bild immer wieder, manchmal bis zu sieben Mal!, bis sie mit dem Resultat zufrieden war. Der Erfolg blieb nicht aus. Im Jahr 1913 hatte sie ihre erste umfangreiche Einzelausstellung in der Sturm Galerie Berlin, die in kleinerer Form in mehreren deutschen Städten und in Kopenhagen gezeigt wurde. Im gleichen Jahr nahm sie am Ersten Deutschen Herbstsalon in Berlin teil.

Gabriele Münter, Herbstliche Landstraße, 1910 © Privatsammlung | Foto: Grisebach GmbH, Berlin © Bildrecht, Wien 2023

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bedeutete auch für die KünstlerInnen im Umkreis des Blauen Reiter einen wesentlichen Einschnitt. Kandinsky musste Deutschland verlassen, er und Münter gingen zuerst in die Schweiz, Kandinsky von dort weiter nach Russland, Münter 1915 in das neutrale Schweden. In Stockholm gestaltete sie 1916 eine Ausstellung mit Werken Kandinskys und eine weitere mit ihren eigenen Werken, präsentierte ihre Werke in weiteren Ausstellungen in Stockholm und 1917 in Kopenhagen, wo sie 100 Ölgemälde , druckgrafische Arbeiten und Hinterglasbilder ausstellte. Zu dieser Zeit einer künstlerischen Neuorientierung konzentrierte sie sich besonders auf Porträts und Interieurszenen.

Erst 1920 kam sie nach Deutschland zurück. Sie konnte durch ihre Kontakte zwar in der München wieder ausstellen, allerdings hatte die von Kandinsky 1916 herbeigeführte Trennung und der jahrelange Rechtsstreit mit ihm über die Rückgabe seiner Bilder zu einer Lebens- und Schaffenskrise geführt. Nach Aufenthalten in Elmau, Murnau und Köln zog sie zu ihrer Schwester nach Berlin, wo sie 1927 ihren späteren Lebensgefährten, den Kunsthistoriker Johannes Eichner, kennenlernte. 1929 und 1930 hielt sie sich erneut in Frankreich auf. Dort nahm sie ihre Maltätigkeit wieder intensiver auf, wobei sie von Ideen der Kunstrichtung der Neuen Sachlichkeit, der gegenständlichen Darstellung von Alltagsobjekten und Personen, aber auch von durch die Industrialisierung erfolgten Veränderungen der Umwelt, beeinflusst wurde.

Gabriele Münter, Dame im Sessel, schreibend, 1929 © Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München | Foto: Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München © Bildrecht, Wien 2023

Ihr künstlerisches Schaffen hat sie verstärkt in den 1930er Jahren fortgesetzt. Nach Murnau kehrte sie 1931 zurück. Nachdem Johannes Eichner zu ihr nach Murnau übersiedelte, wurde das Haus 1936 umgebaut und zum festen Wohnsitz.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 war sie im selben Jahr in die Reichskammer der bildenden Künste eingetreten, um weiterhin die Möglichkeit zu haben, auszustellen. So wurde eine Werkschau von 50 ihrer Bilder 1933 in Bremen und bis 1935 in weiteren deutschen Städten gezeigt. Bis 1938 folgten mehrere weitere Ausstellungen.

Gleichzeitig unternahm der Kunsthistoriker Johannes Eichner den Versuch einer “systemkonformen Deutung” von Münters Werk. 1936 hat sie auch an der Propagandaschau Die Straße Adolf Hitlers teilgenommen. Dass keines ihrer Werke von deutschen Museen angekauft worden war, erwies sich in dieser schwierigen Zeit sogar von Vorteil, da die in öffentlichem Besitz befindlichen Werke moderner Kunst beschlagnahmt und in der Ausstellung “Entartete Kunst” gezeigt wurden und die KünstlerInnen mit Berufsverbot belegt wurden.

Ein wesentliches Verdienst von Gabriele Münter, das zwar nicht unmittelbar mit der Ausstellung zu tun hat, aber für die Kunstgeschichte von unermesslicher Bedeutung ist, ist die Rettung von frühen Werken Kandinskys und Werken von KünstlerInnen des Blauen Reiter, da sie ihre umfangreiche Kunstsammlung im Keller ihres Hauses in Murnau versteckte und damit dem Zugriff der Nationalsozialisten entzogen hat. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Johannes Eichner hat sie damit diese Werke über den Krieg gerettet. Anlässlich ihres 80. Geburtstages im Jahr 1957 hat sie durch eine Schenkung zahlreiche Werke Kandinskys, aus dem Umkreis der MalerInnen des Blauen Reiter und von ihr selbst der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München überlassen.

Nach dem Krieg gelingt es 1949, eine umfangreiche Retrospektive mit Werken von Gabriele Münter aus fünf Jahrzehnten in Braunschweig zu zeigen, die in den folgenden Jahren in weiteren 21 Städten gezeigt wird. Im gleichen Jahr erfolgt im Münchner Haus der Kunst die erste große Ausstellung Der Blaue Reiter in Deutschland; 1950 widmet Deutschland seinen Pavillon der bei der 25 Biennale in Venedig dem Blauen Reiter. In allen diesen Ausstellungen ist Gabriele Münter als Mitbegründerin dieser Künstlervereinigung mit Werken aus dieser Zeit vertreten.

1960 werden ihre Werke erstmals in zwei Ausstellungen in den USA gezeigt.

Gabriele Münter, Der blaue See, 1954 © Lentos Kunstmuseum, Linz | Foto: LENTOS Kunstmuseum Linz/Reinhard Haider © Bildrecht, Wien 2023

Gabriele Münter hat auch im Alter noch Ölbilder und Aquarelle gemalt. Sie ist 1962 in ihrem Haus in Murnau gestorben.

Die Ausstellung im Leopold Museum gibt in 12 chronologisch angeordneten Stationen einen Einblick in die Schaffensphasen von Gabriele Münter und ihr vielfältiges Lebenswerk.

Die Ausstellung ist noch bis 18. Februar 2024 im Leopold Museum in Wien zu sehen!

Adresse: MuseumsQuartier Wien http://www.leopoldmuseum.org

Öffnungszeiten: täglich, außer Dienstag: 10:00-18:00 Uhr. Öffnungszeiten während der Feiertage siehe Homepage!

Katalog: Zur Ausstellung ist auch ein umfangreicher, reich bebilderter Katalog erschienen: Gabriele Münter. Retrospektive. Hg. Ivan Ristic und Hans-Peter Wipplinger. Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König. Köln 2023.

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